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Artikelarchiv von Maja Langsdorff
Die folgenden Artikel erschienen am 20. August 2003 in der »Stuttgarter Zeitung«.

Artikel zum Thema:

»Fett oder fit, das ist hier die Frage«

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»Mops gegen Windhund«

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Fett oder fit, das ist hier die Frage

Ernährungsexperten widersprechen der These, Fett mache fett und fettarme Kost schlank

Der Feind ist ausgemacht: Er hat Augen, schwimmt in der Suppe oder verbirgt sich in Würsten, Käse, Sahne. Die Pfundskur sagt Fettaugen den Kampf an. Doch schlechte Nachricht für Abspeckwillige: Die Formel »Fett macht fett - fettarm macht schlank« ist umstritten.

von Maja Langsdorff

Dicke am StrandFett will heute niemand mehr sein. Der Hang des Körpers, überschüssige Energie in Fettpölsterchen anzulegen, hat jedoch evolutionsbiologisch seinen Sinn. Unsere Vorfahren verschafften sich damit bei Missernten, Hungersnöten, Belagerungen einen Überlebensvorteil. Heute rücken Mollige mit fettarmen Diäten ihren Fettpolstern zu Leibe. Nebenbei soll auch die Gesundheit von der schlanken Linie profitieren. Dabei zweifeln manche Ernährungsexperten an, dass Fett dick oder sogar krank macht. Darüber hinaus weisen sie auf Risiken einer kohlenhydratreichen Ernährungsweise hin.

Gemeinhin wird zu viel Fett am Körper wie im Essen verantwortlich gemacht für hohen Blutdruck und hohe Cholesterinwerte, für Arteriosklerose und Herzinfarkte. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung mahnt aus diesem Grund, höchstens 30 Prozent der täglichen Kalorien als Fett aufzunehmen. Tatsächlich haben die Deutschen in den vergangenen Jahren ihren Fettkonsum von 40 auf 38 Prozent gedrückt.

Besser liegen mit 34 Prozent die Amerikaner, unterstützt sie doch ein Sortiment von 15 000 Low-fat- und No-fat-Produkten. Und doch sind sie seit Einsetzen der Fettsparwelle in den 70er Jahren weder dünner noch gesünder geworden. Die Herz-Kreislauf-Beschwerden haben sich vervierfacht, Diabetes hat drastisch zugenommen, die Zahl der krankhaft Übergewichtigen ist von 14 auf 22 Prozent gestiegen. Bewegungsmangel, so scheint es, ist viel eher ein Risikofaktor als das Fett in der Suppe. Studien der Harvard School of Public Health deuten sogar darauf hin, dass Fett vor Herzkrankheiten schützt und fettarme Diäten die Wahrscheinlichkeit von Herz-Kreislauf-Problemen steigert.

Zahlreiche internationale Studien widerlegen die These vom klaren Zusammenhang zwischen Fettkonsum und Fettleibigkeit beziehungsweise Gewichtszunahme. Zwei Studien an Frauen brachten sogar das verblüffende Ergebnis: Je höher der Fettkonsum, desto schlanker die Frauen. Einem renommierten Ernährungswissenschaftler wie Nicolai Worm stellt sich hier die Henne-Ei-Frage: Was war zuerst da? »Ist Übergewicht Folge des Fettkonsums oder die hohe Fettzufuhr die Folge von Übergewicht?« Viele Dicke essen gern fettig. Denkbar ist, dass bei ihnen körpereigene Signale ein unkontrollierbares Verlangen nach mehr Kalorien und Fett auslösen, weil sonst ihre Energiebilanz nicht stimmt.

Worm widerspricht dem schlechten Ruf des Fetts. Fett mache fit, lautet seine These. »Aber es müssen die richtigen Fette sein, nämlich hauptsächlich ein- oder mehrfach ungesättigte Fettsäuren und viel mehr Omega-3-Fettsäuren als heute üblich.« Enthalten sind diese zum Beispiel in Raps-, Walnuss- oder Leinöl, in Fisch und Fleisch aus artgerechter Tierhaltung - »wo die Rinder noch Gras fressen«.

Wer seinen Fettkonsum drosselt, greift automatisch zu mehr Kohlenhydraten. Worm warnt vor den »vielen potentiellen Nebenwirkungen und Gesundheitsrisiken durch die undifferenziert propagierte Kohlenhydratmast«. Wer am Fett knausere und sich stattdessen an bestimmten, nämlich stark zucker- und stärkehaltigen Produkten wie Kartoffeln, Nudeln, Weißbrot oder Gebäck satt esse, der könne seine Gesundheit gefährden, besonders bei einer Vorbelastung. Solche Ernährung treibe den Blutzucker in die Höhe. Es wird vermehrt Insulin ausgeschüttet, um den Zucker aus dem Blut zu filtern und in Energie umzuwandeln. Vorhandenes Fett wird nicht abgebaut. Sinkt dann der Insulinspiegel abrupt, entsteht beißender Hunger. Mit den Blutzuckerwerten steigt die Gefahr, an Diabetes zu erkranken. Eine Langzeitstudie der Harvard-Universität besagt, dass sich das Herzinfarktrisiko für übergewichtige Frauen verdoppelt und das Bauchspeicheldrüsenkrebs-Risiko verdreifacht, wenn sie besonders viel von den angeblich so gesunden Kohlenhydratquellen aßen.

Und: Fett sättigt zwar trotz mehr Kalorien weniger, aber es hat einen »stimmungsaufhellenden Effekt«, erklärt der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer. »Um die Stimmung einigermaßen stabil zu halten muss ich ständig Kohlenhydratkalorien - meist auch noch Zucker - nachfüttern. Deshalb stellt fettarme Ernährung gleichzeitig eine Art Mast dar.« Darüber hinaus drohen Gallensteine. Wird schlagartig und über einen längeren Zeitraum der Fettkonsum reduziert, bildet sich anfangs noch Gallenflüssigkeit, die nicht benötigt wird. Die darin gelösten Stoffe kristallisieren, womit ein Anfang für das Wachstum der Steine gesetzt ist. Pollmer: »Esse ich dann an Weihnachten mal eine fette Gans, wird der inzwischen gebildete Gallenstein mobilisiert und führt zur Gallenkolik«.

Mops gegen Windhund

Den wenigsten Menschen gelingt es, dauerhaft abzunehmen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Körper »mitdenkt« und vorsorgt, wenn man ihn auf Sparkost setzt.

Schwere LastDer Ernährungsexperte Nicolai Worm nimmt Übergewichtigen die letzte Illusion: »Wenn man den Leuten vorgaukelt, sie könnten problemlos abnehmen, ist das eine Lüge. Der Körper verteidigt sein Gewicht mit allem, was er evolutionär mitbekommen hat.« Ein Tierversuch, dessen Ergebnisse im Jahr 2001 im Fachblatt »Journal of Experimental Biology« veröffentlicht wurde, bestätigt das. Man hatte Mäusen schweren Kunststoff unters Fell gepflanzt. Einige Wochen später hatten sie wieder ihr früheres Gewicht. Man entfernte den Kunststoff, und siehe da, nach kurzer Zeit brachten sie erneut ihr Ausgangsgewicht auf die Waage, auch ohne Kunststoffimplantate.

Pollmer rät deshalb: »Essen Sie nichts, was Ihnen nicht bekommt, und sei es noch so gesund! Meiden Sie alle Strategien, die dazu führen sollen, dass Sie abnehmen - Sie werden in aller Regel dadurch zunehmen.« Eine intensive Auseinandersetzung mit der Ernährung hat einen fatalen psychologischen Nebeneffekt. Essen wird zum Gegenstand des Denkens. Eine Überkonzentration aufs Essen macht in den seltensten Fällen schlank, führt aber häufig auf dem Umweg über Diäten zu gestörtem Essverhalten, das in psychogenen Essstörungen gipfeln kann. Pollmer kennt dazu eine Parabel mit bitterer Pointe: Der Herrscher eines großen Reiches will das Herz eine jungen Frau erobern und bittet den Hofzauberer um Hilfe. Der mixt ihm einen Trank. Als der Herrscher das Gebräu an die Lippen setzt, sagt der Zauberer: »Wenn du diesen Trank zu dir nimmst, dann darfst du niemals an einen Bären denken, sonst wirkt er nicht!« Nicht weiter zuzunehmen wäre für Worm vorrangiges Ziel für Übergewichtige: »Wenn Sie das schaffen, und das mit einer Kost, die Sie glücklich macht und einigermaßen gesund hält, dann ist schon viel erreicht.« Wichtig sei es, die »Dickmacher- und Schlankmachermentalität« aus dem Kopf zu verbannen und wieder genießen zu lernen.

Essen ist ein Instinktverhalten, deshalb solle man lieber den Energieverbrauch erhöhen, als gegen die Pfunde anhungern. Das geht über mehr Bewegung, was nicht unbedingt auf Sport hinauslaufen muss: »Sinnvoller wäre es, 'Zwangsbewegung' in unser Leben zu integrieren«. Also öfter zu Fuß gehen, Treppen steigen, körperlich arbeiten.

Schlanker zu werden bedeutet aber nicht zwangsläufig, gesünder zu werden. Dünne Dicke tragen nach Pollmer gleich zwei Risiken: die Veranlagung, dicker zu werden, und im Verhältnis zu ihrer Veranlagung Untergewicht. »Natürlich ist Übergewicht mit gewissen Risiken verbunden. Aber wenn ich diese Menschen schlanker mache, habe ich damit die Risiken beseitigt?«

Zur Veranschaulichung bemüht er ein absurdes Bild: das Rennen zwischen einem Mops und einem Windhund. »Klar, der Mops ist zu fett, um eine Chance zu haben. Aber nun lassen Sie mal den Mops schön langsam verhungern. Hat er dann eine Chance gegen den Windhund?«

 

Interessante Links zum Thema:

Mehr zur Thematik Abnehmen, Diäten und Essstörungen finden Sie auf meinen Seiten beim Schwerpunkt Essstörungen

Außerdem empfehlenswert:

Medien

Karin Haug: »Diätenfalle«
Videokassette, für 25 Euro zu beziehen über den SWR-Media Mitschnittdienst, Tel. 07221/929500

Bücher

Udo Pollmer:
»Lexikon der populären Ernährungsirrtümer«, 9,90 Euro und
»Prost Mahlzeit - krank durch gesunde Ernährung«, 13,50 Euro,
beide Piper Verlag

Nicolai Worm:
»Syndrom X oder ein Mammut auf den Teller«, 19,90 Euro, und
»Diätlos glücklich. Abnehmen macht dick und krank. Genießen ist gesund«, 19,90 Euro,
beide systemed verlag Lünen.

Links

Interaktiver BMI-Rechner unter http://www.maja-langsdorff.de/mlesgew.htm
Lesenswertes zum Fettdogma: http://www.chrismon.de/ctexte/2003/1/1-1.html
Mehr zu Pfundskur unter http://www.pfundskur.de

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