Diese Seite drucken
Diese Website ist optimiert für Mozilla Firefox.
|
Philippe Boyer: Vom Leben der Wildbienen Über Maurer, Blattschneider und Wollsammler
Im Frühsommer 2016 erschien ein wunderschönes Buch mit dem Titel »Vom Leben der Wildbienen. Über Maurer, Blattschneider und Wollsammler«. Ein gutes Jahr später machte eine Meldung Schlagzeilen, die erschrecken und betroffen machen muss, wobei zu befürchten ist, sie wird kaum weitreichende Konsequenzen zeitigen: »Seit 1989 ist die Masse der fliegenden Insekten um durchschnittlich 76 Prozent zurückgegangen«, berichtet etwa die Süddeutsche Zeitung am 18.10.2017 über die Ergebnisse einer Untersuchung des Entomologischen Vereins Krefeld, der die zurückliegenden 27 Jahre an 63 Orten fleißig geflügelte Insekten wie Falter, Käfer, Bienen und Wespen gezählt hat. Die Gelegenheit, die faszinierenden Insekten aus dem Wildbienenbuch des Franzosen Philippe Boyer zu Gesicht zu bekommen, hatten wohl nur wenige Menschen. Die Gefahr ist konkret, dass wir sie irgendwann nur noch aus Büchern kennen, die von einer vergangenen Zeit und einer untergegangenen Artenvielfalt berichten. Boyer drückt denn auch am Anfang seiner einleitenden Betrachtungen seine Besorgnis aus: »Wird es Bienen, die aus so ferner Vergangenheit stammen und heute vom Aussterben bedroht sind, noch lange auf unserem Planeten geben?« Er bringt das fundamentale Problem für die von ihm behandelte Spezies der Honig- und Wildbienen gleich auf den Punkt: »Nach 80 Millionen Jahren reibungsloser Evolution reichten ein paar Jahrzehnte und der Alptraum einer Welt ohne Bienen beginnt Wirklichkeit zu werden. Sie wieder als Wildtiere zu begreifen, bedeutet auch, die institutionalisierte Bienenzucht zu hinterfragen [...] Der Ersatz einer vielfältigen Blühpflanzenflora durch Monokulturen, der Umbau der Landschaft und der massenhafte Einsatz von systemischen Pestiziden tun ihr Übriges. Das Massensterben der Honigbienen ist der erste oder besser der sichtbarste Hinweis auf diese Katastrophe«. Dass es ein Bienensterben gibt, war ja vielen irgendwo schon bekannt, und wer als ökologisch angehauchter Zeitgenosse über ein kleines Stückchen Land, einen Garten oder einen großen Balkon verfügt, beweist heutzutage seine political correctness damit, Honigbienen zu halten. Doch volle Honigtöpfe und streichelzahme Bienen, deren natürliche Vermehrungsmethode – das Schwärmen – verhindert wird, mögen manchen Imker beglücken. Doch solche Bienen haben aber mit ihren wilden Vorfahren kaum mehr zu tun. Sie sind domestizierte Nutztiere, die nur überleben können, wenn der Bienenhalter dafür sorgt, und selbst das ist oft in Frage gestellt. Aber der Mensch benötigt für sein Überleben die Hilfe der Bienen, ihre Bestäubungsleistung nämlich. Das ist einem breiten Publikum spätestens seit dem Film More Than Honey bekannt. Er zeigte auch Bilder, wie Asiatinnen in die Obstbäume kletterten, um Blütenpollen zu sammeln, mit denen später Blüten bestäubt wurden. Solitär lebende Bienen und Kleinstaaten bildende Hummeln, wie sie in Boyers ansprechendem Werk ausführlich behandelt und porträtiert werden, haben scheinbar keinen unmittelbaren Nutzen für den Menschen. Deshalb fehlt ihnen eine vergleichbar große Lobby wie sie die Honigbienen haben. Doch Wissenschaftler haben längst herausgefunden: Wildbienen bestäuben Blüten viel effizienter als Honigbienen, und wenn sie genau so oft Blüten anfliegen, ist der Fruchtansatz doppelt so hoch wie bei Honigbienen. In Zahlen ausgedrückt heißt das, der Ertrag eines Feldes ist spürbar geringer, wenn es von 150 Honigbienen bestäubt wird als wenn sich die Arbeit auf 100 Honigbienen und 50 Wildbienen verteilt. Für den Autor und Naturfotografen Philipp Boyer, Jahrgang 1931, ist das Durchstreifen und Beobachten der Natur eine Leidenschaft, die er als Kind schon entwickelt und sich bewahrt hat – es ist sehr berührend zu lesen, wie er einleitend seinen sehr persönlichen Zugang zur Welt der fliegenden Insekten schildert. Kenntnisreich und liebevoll stellt er seine zauberhaften Protagonisten in Text und Bild vor, zunächst die Honigbienen und Hummeln, die zu den sozialen Bienen zählen, dann die große Gruppe der Solitärbienen, also Bienen, die nicht in Gemeinschaften leben. So führt er mit hinreißenden Fotos in das Leben der Mauerbienen ein, zeigt in Nahaufnahmen die vielgliedrigen Fühler, das pelzige Gesicht und die riesigen Augen eines Mauerbienenmanns, den »flotten Dreier«, also einen Paarungsakt, bei dem ein Bienenkavalier zu viel ist, und das pollenverstaubte wuschelige Hinterteil einer Gehörnten Mauerbiene. Jedes dieser Fotos ist ein Kunstwerk für sich und hochästhetisch. In folgenden Kapiteln geht er auf Parasitismus ein, erzählt von Sandbienen und Wespenbienen. Wie Insekten beim Sammeln von Pollen und Nektar vorgehen und dabei mehr oder weniger effizient bestäuben, das ist ein weiterer interessanter Aspekt. Es gibt da durchaus Unterschiede zwischen Käfern, Zweiflüglern, Bienen und Schmetterlingen, vor allem was die Mundwerkzeuge angeht, vom langen »Rüssel« des Schmetterlings bis zur kurzen Zunge von Seiden-, Sand- und Schmalbienen. Gegen Ende des Buchs erfährt der Leser etwas über die Arbeits- und Vorgehensweise des Autodidakten, der seine Kenntnisse aus einer offenbar großen Zahl von Büchern zur Botanik und Insektenkunde bezieht und von einer nie endenden Neugier getrieben scheint. Da er beispielsweise nirgendwo etwas über die Zahl der Blätter gefunden hatte, die eine Blattschneiderbiene zerschneidet, um ihre Nisthülle zu bauen, zählte er Schnipsel und notierte solche und andere Beobachtungen in Journalen, um sie auch nach Jahren und bei der Vielzahl seiner zusammengetragenen Informationen nicht zu vergessen: »Indem ich alles notiere, vertiefe ich mein Wissen über die Insekten, und die Gesamtheit meiner Beschreibungen erlaubt es mir, ihr Verhalten zu verstehen«. Dazu lernte er mit der Zeit zu zeichnen – sehr gut, wie eine Abbildung einiger Journalseiten beweist – und einfach wunderbar zu fotografieren. Man kann dieses Buch einfach nur durchblättern und seine fantastischen Fotos genießen, aber es empfiehlt sich unbedingt, dazu die Texte zu lesen. Auch wenn sie die Bilder nur erläuternd begleiten, transportieren sie doch zahlreiche interessante und wissenswerte, gelegentlich auch persönliche Informationen, sind nie langweilig und immer mit viel Sympathie für diese kleinen geflügelten Wunderwerke der Natur geschrieben. Ein großartiger Bildband mit klugen, gehaltvollen Texten, ein rundum gelungenes Buch, das nicht nur Natur- und Insektenfreunde begeistern dürfte! Ulmer Verlag Stuttgart 2016, 144 Seiten, 132 Farbfotos, ISBN 978-3-8001-1284-5 |