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Melanie von Orlow:

Die Imkerin

Melanie von Orlows neues Buch trägt den Titel „Die Imkerin“ – und das wirft automatisch Fragen auf: Ist es so etwas Besonderes, wenn Frauen Bienen halten? Überfordert die teilweise körperlich schwere Arbeit der Imkerei Frauen nicht? Ist Bienenzucht nicht aus gutem Grund eine Männerdomäne, vorzugsweise für Rentner, Pfarrer, Lehrer? Die Antwort auf all diese Fragen lautet: nein! Die beim NABU engagierte Biologin und Insektenkennerin hat ein Buch verfasst, das den Einstieg in die Imkerei erleichtert und begleitet, und sie hat dabei ein besonderes Augenmerk auf die bisweilen etwas anderen Bedürfnisse von Frauen gelegt, ohne diese als Exotinnen betrachten oder verzärteln zu wollen. Melanie von Orlow glaubt eine Kehrwende in der Hobby-Imkerei zu erkennen; sie hält das letztlich auch für ein Verdienst von Frauen, die nicht mehr nur assistieren wollen: »Vorbei sind die Zeiten, in den die ‚Imker-Frau’ ihren imkerlichen Beitrag allenfalls beim Entdeckeln, Abfüllen und Etikettieren der Ernte ihres Ehemannes leistete«, konstatiert sie, »nun wird zurückgeimkert!« Welche Auswirkungen das auf die Freizeitimkerschaft hat, sei mittlerweile sogar im ländlichen Raum zu beobachten, nicht nur in den großen Metropolen, wo inzwischen 30 Prozent der Imkerneulinge weiblich sind. »Das Klischee der Altherrenvereine stirbt allmählich aus, und insbesondere in den Städten sind Vereinsabende wertvolle Schulungsveranstaltungen und weit mehr als bierselige Skatrunden oder hitzige Fachdiskussionen, denen 99 % der Anwesenden nicht mehr folgen können«. Den Imkerinnen gelinge es eher, eine Plattform zu schaffen, auf der ohne Rivalitäten auf gleicher Augenhöhe diskutiert werden könne.

Melanie von Orlows Buch ist in erster Linie ein Ratgeber, der gut verständlich, übersichtlich, mit diversen aussagekräftigen Tabellen sowie praktischen und umfassenden Informationen das Wissen und die Basistechniken vermittelt, die frau/man braucht, um in diese so schöne wie sinnvolle Freizeitbeschäftigung einsteigen und sie ausüben zu können. Anders als der Buchtitel assoziieren mag, ist die Biologin keine Frauenversteherin, die immer den spezifisch weiblichen Anteil sucht oder Klischees bemüht, auch wenn einige Tipps, sich die Arbeit an den Bienen angenehmer zu gestalten, für »richtige« Imker (= männlich) wohl indiskutabel sein dürften. Da ist beispielsweise die Empfehlung, sich mit dünnen Einweghandschuhen vor propolisverklebten Fingern zu schützen oder sich einen »Stichheiler« zuzulegen, also ein thermisch oder elektrisch arbeitendes Gerät in der Größe eines Kugelschreibers, das allzu starkes Anschwellen und Schmerzen nach Bienenstichen verhindern soll.

Fast nur im ersten Teil des Buches greift Melanie von Orlow Themen auf, mit denen sich Frauen tatsächlich noch intensiver beschäftigen sollten als Männer, und dazu gehört vor allem anderen die Wahl der richtigen Bienenbehausung, in der Fachsprache »Beute« genannt. Ihr Fazit: lieber nicht blind Vereinsempfehlungen folgen und das ‚gängige Maß’ oder das System des eigenen Imkerpaten übernehmen, sondern die Wahl vorausschauend trteffen, damit man nicht früher oder später an die eigenen – körperlichen – Grenzen kommt. »Dem Gewicht, insbesondere von Magazin-Beuten, schenken viele Frauen viel zu wenig Aufmerksamkeit«, weiß von Orlow, »Frauen haben im Durchschnitt einen um 6 % geringeren Anteil an Skelettmuskulatur und offenbar auch eine andere Muskelmassenverteilung«. Die vor der Honigernte gut gefüllten einzelnen Zargen (Etagen) einer Beute anzuheben, bedeutet mindestens 15, 20 Kilo hochwuchten zu müssen – und das gilt für jene Modelle, die noch am wenigsten Gewicht auf die Waage bringen.

Nimmt man die von der Autorin zitierte Hettinger-Tabelle der zumutbaren Lasten beim Heben und Tragen als Maß, verbietet sich ein Großteil der gängigen Beutensysteme, denn eine Frau mittleren Alters darf danach höchstens zwei Mal pro Stunde 15 kg heben und 4 Schritte weit tragen; muss sie die Last öfter und weiter bewegen, liegt ihr Grenzwert bei 10 kg, sonst gefährdet sie ihre Gesundheit. Solche Informationen sucht man in der Regel in gängigen Imker-Praxisbüchern vergebens. Um Entscheidungshilfen zu geben, listet sie die Vor- und Nachteile von Holz- oder Kunststoffbeuten, stellt verschiedene Rähmchenmaße und Magazinteilungen vor und bewertet diese. Ergänzend zu einer sehr hilfreichen Tabelle zu Haltungssystemen, die sich für Frauen eignen, gibt sie persönliche Empfehlungen ab, wobei sie auch Platzverhältnisse berücksichtigt und die Wahl zwischen dem Wunsch, extensiv oder intensiv zu imkern. Allein dieses eine Beispiel macht die große Praxisorientierung des Buches schon deutlich. Für Neulinge besonders wertvoll sind die Kapitel, in denen es darum geht, wann und wie man am besten in die Bienenhaltung einsteigt und wie man an seine ersten Bienen kommt. Themen wie Varroa-Management oder Ablegerbildung und Schwarmverhinderung liefern gut nachvollziehbar die essentiellen Infos für Anfänger ohne Routine. Und natürlich fehlt auch der Themenkomplex Honigernte und –verarbeitung nicht.

Von Orlow lässt es aber nicht bei Ratschlägen bewenden; sie bindet auch praktische Übungen ein, die anregen sollen, das Gelesene umzusetzen und auszuprobieren, sei es beim Rähmchenvorbereiten, bei der Durchsicht des Bienenvolks, der Behandlung gegen die Varroamilbe, dem Zeichnen der Königin usw. Unter der launigen Überschrift »Basisrezepte für alle Gelegenheiten« führt sie Nachwuchs-Imkerinnen fachkundig durch die nicht immer ganz leichte Materie und motiviert sie, bei Misserfolgen nicht aufzugeben, sondern Erfahrungen zu sammeln und experimentierfreudig zu sein. Schließlich ähnele die Imkerei »den klassischen Küchen-Erlebnissen, bei denen das Ergebnis stundenlanger Mühen oft akzeptabel ist, aber nicht so begeistert wie das Rezept im Kochbuch«.

Mit ihrer flotten Schreibe samt eingestreuten netten Loriot-Zitaten ist der Autorin ein wirklich unterhaltsames, sehr ansprechendes Imkerlehrbuch von hohem praktischem Nutzwert gelungen. Auch dem männlichen Teil der Imkerschaft sehr zu empfehlen. Man(n) lernt doch nie aus ...

Ulmer Verlag Stuttgart, 2017, 128 Seiten,ISBN 978-3-8001-0875-6.

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