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Artikelarchiv von Maja Langsdorff
Der folgende Artikel erschien am 28. Oktober 2008 in leicht gekürzter Form in der »Stuttgarter Zeitung«.

Artikel zum Thema:

»Gute Karten für Vegetarier«

Tipp:

Kleiner Guide durch den Dschungel der Ernährungsliteratur

Gute Karten für Vegetarier

Wer kein Fleisch isst und sich ausgewogen und vollwertig ernährt, profitiert gesundheitlich und schont das Klima

BSE-Erreger im Rind, Salmonellen in Geflügel, Antibiotika im Schweinefleisch – den Freunden von Steak, Hendl und Schnitzel kann bisweilen der Appetit vergehen. Vegetarier haben dieses Problem nicht, aber leben sie wirklich gesünder?

von Maja Langsdorff

Was haben Pythagoras und Boris Becker gemeinsam, was verbindet Horaz, Leonardo da Vinci, Paul McCartney und Pamela Anderson? Wahrscheinlich nichts – bis auf ihre vegetarische Lebensweise. Noch vor 25 Jahren aßen nur 0,6 Prozent der Deutschen kein Fleisch. Vegetariern haftete das Image bleicher Hungerleider an. Heute liegt fleischlose Kost, auch dank immer neuer Fleischskandale, im Trend. Maus sucht TippsDie Nationale Verzehrsstudie II des Bundesernährungsministeriums geht von 1,6 Prozent Vegetariern hierzulande aus; die meisten anderen Schätzungen liegen mit bis zu zwölf Prozent weitaus höher. Dass sich die Zahl der Vegetarier in den letzten zwei Jahrzehnten verzehnfacht hat, schließt der namhafte Ernährungswissenschaftler Claus Leitzmann nicht aus. Wahrscheinlich essen sechs, sieben Prozent – also fast sechs Millionen Menschen – kein Fleisch, so der emeritierte Professor der Gießener Justus-Liebig-Universiätät.

Mit ihrer Zahl ist das Ansehen der Vegetarier gestiegen, zumal hoher Fleisch- und Wurstkonsum wegen seiner weitreichenden Folgen für Klima, Umwelt und Gesundheit immer mehr in die Kritik gerät. Männer nehmen laut Bundesernährungsministerium täglich 103 Gramm Fleisch und Fleischprodukte zu sich, Frauen 53 Gramm – eine optimistische Schätzung, liegt doch der sinkende Fleischkonsum noch immer bei 60 Kilo pro Kopf und Jahr. Das ist viermal so viel, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung schon 1992 gut hieß; wegen des Fettgehalts empfahl sie, den Verzehr auf 300 Gramm pro Woche zu drosseln. Energiereiche, ballaststoffarme Ernährung mit satt tierischem Fett und Eiweiß (Protein) begünstigt die Entstehung von Zivilisationskrankheiten wie Altersdiabetes, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Arteriosklerose oder Gicht. Solche Wohlstandserkrankungen treffen Vegetarier deutlich seltener.

Kleiner Guide durch den Dschungel der Ernährungsliteratur

Das Angebot an Ratgebern zu Ernährungsthemen ist für Laien kaum überschaubar. Ich habe drei mal sieben Bücher – vom Ernährungslexikon bis zum Kochbuch für Essgestörte – in einer Sammelbesprechung kurz und knapp besprochen. Hier gehts zu meinem Überblick Ernährungsratgeber.

Übergewicht haben die wenigsten, der Comedy-Star Dirk Bach ist eine schwergewichtige Ausnahme. Der Blutdruck von Vegetariern ist normalerweise niedriger, die Immunabwehr stärker, Blutfett- und Harnsäurewerte sind besser. Was Wunder, dass sie sich ein längeres Leben erhoffen dürfen, wie das Deutsche Krebsforschungszentrum über eine Langzeitstudie herausfand.

Andererseits enthält Fleisch essenzielle Nährstoffe wie Eisen, Eiweiß und Kalzium; es ist zudem neben Eiern und Milchprodukten die einzige Quelle für Vitamin B12, warnen Gegner der vegetarischen Lebensweise. Riskiert also, wer kein Fleisch isst, Mangelerscheinungen? Ja und nein: Wer nur das Fleisch weglässt, die Ernährung nicht anpasst und zum Süßigkeiten, Fast Food und Weißmehlspeisen konsumierenden »Puddingvegetarier« mutiert, erweist seiner Gesundheit einen Bärendienst. »Beim ’normalen‘ Vegetarier, der auch Eier und Milchprodukte verzehrt, sind Mangelerscheinungen recht selten«, versichert Leitzmann, seit drei Jahrzehnten selbst Vegetarier. Vor allem bei rigiden Formen fleischloser Ernährung steigt das Risiko von Defiziten, besonders bei Kalzium und Vitamin B12. So wollen strenge Vegetarier, die sogenannten Veganer, die aus meist ethischen Gründen jegliches Produkt tierischen Ursprungs ablehnen, »Tiere schützen, vergessen aber dabei leicht ihre eigene Gesundheit«.

Ernährungsphysiologisch gesehen spricht alles für und nichts gegen eine gemäßigte, abwechslungsreiche und ausgewogene vegetarische Kost, also die Ovo-Lacto-Variante mit Milch und Eiern. Fleisch liefert zwar Eisen in einer besser verfügbaren Form als Pflanzenkost. Doch Eisenmangel tritt laut Leitzmann bei »Fleischessern genauso häufig auf wie bei Vegetariern«. Diese decken ihren Eisenbedarf über Getreide, Gemüse, Nüsse und Kartoffeln. Sie haben oft geringere Eisenspeicher als Fleischesser – was allerdings nicht nachteilig sein muss, da freies Eisen im Blut als Radikal wirkt. Ist der Eisenbedarf erhöht – etwa in der Schwangerschaft – kann ein vorübergehender Mangel durch Eisenpräparate ausgeglichen werden. Obst, das viel Vitamin C enthält, hilft, die Aufnahme von Eisen aus der Kost zu steigern.

Häufig werde auch der Eiweißbedarf überschätzt, sagt Leitzmann. »Wir essen im Schnitt etwa doppelt so viel, wie wir brauchen.« Nicht der Proteinmangel, eine Übersorgung sei das Problem. Zu viel Eiweiß begünstigt die Entstehung von Nierensteinen und Osteoporose. Wer regelmäßig Vollkornprodukte, Bohnen, Nüsse, Kartoffeln und Samen isst, sichert seine Eiweißversorgung. Pflanzliches Eiweiß enthält neben den zehn Aminosäuren die unser Körper selbst herstellen kann, alle acht essenziellen Aminosäuren, die für den Aufbau des körpereigenen Eiweißes benötigt werden und wird von Experten günstiger eingestuft als tierisches Protein. Dass Sportler sich besonders proteinreich ernähren sollten, mag Leitzmann nicht bestätigen – der Aufbau der Muskulatur sei eher eine Frage des Trainings. Tatsächlich ist die Liste fleischlos lebender Hochleistungssportler lang, allen voran Carl Lewis aus den USA, den die International Association of Athletics Federations 1999 als »Leichtathlet des Jahrhunderts« ehrte.

Über grünes Gemüse und Bohnen beziehen Vegetarier genügend Kalzium; Jod ist jodiertem Kochsalz, in geringen Mengen auch in Meersalz enthalten. Wer keinen Bogen um Milchprodukte und Eier macht, muss auch nicht fürchten, beim Nervenvitamin B12 zu kurz zu kommen. Fraglich ist, ob es sich über milchsauer vergorene Produkte wie Sauerkraut oder Algen zuführen lässt. Doch der Organismus kann das Vitamin, das von Bakterien hergestellt wird, speichern. Wer nicht von Geburt an vegan ernährt wurde – wovon dringend abzuraten ist –, hat in der Regel »einen guten Vorrat«, so Leitzmann. Und mit jeder Bakterie, die man aufnehme, nehme man auch B12 auf. Einer Unterversorgung lässt sich mit Vitamin-B12-angereicherten Lebensmitteln, etwa Sojaprodukten, vorbeugen.

Die positiven Effekte einer abwechslungsreichen, vollwertigen und frischen vegetarischen Kost haben Forscher mit unzähligen Studien nachgewiesen. Die American Dietetic Association bestätigte 2003, vegetarische Ernährung biete »gesundheitliche Vorteile bei der Vorbeugung und Behandlung bestimmter Krankheiten«. Doch Vegetarier profitieren nicht nur von mehr gesundheitsfördernden Stoffen wie Antioxidantien und »bioaktiven« Pflanzenstoffen, die Blutdruck und Cholesterin senken; sie nehmen nicht nur jede Menge vor Infektionen und Krebs schützender Vitamine und Ballaststoffe auf. »Sie haben ein ganz anderes Gesundheitsbewusstsein«, betont Leitzmann. Denn Vegetarier lassen nicht nur Fleisch weg, sondern verringern auch über ihren Lebensstil Risikofaktoren. Sie leben gesünder und bewegen sich mehr. Die wenigsten rauchen, viele konsumieren nur wenig oder keinen Alkohol und Kaffee.

Interessanterweise entscheidet sich nach einer Erhebung der Universität Jena nur ein Fünftel der Vegetarier aus gesundheitlichen Gründen für die fleischlose Kost. Ausschlaggeben sind meist moralische Gründe – bisweilen auch ökologische. »Das Klima hält unseren Fleischkonsum nicht mehr aus! Tierhaltung ist ein größerer Klimakiller als der gesamte Verkehr«, warnt der Rapper Thomas D. im Öko-Magazin »Schrot & Korn« (9/2008). Und Leitzmann ergänzt: »Mit der Umstellung auf eine vegetarische Vollwert-Ernährung kann man mindestens die Hälfte seines klimaschädlichen Verhaltens einsparen.«

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