Myiasis: Nutzen und Schaden – ein Exkurs zum ThemaEs gibt oft zwei Seiten einer Medaille. Madenfrass (Myiasis) ist nicht gleich Madenfraß – er kann tödlich enden, aber auch Leben retten. Da sind ...
Madenfraß kann also Fluch oder Segen sein, je nachdem ob er unkontrolliert oder kontrolliert und gewollt abläuft. Wenn Fliegen einen verletzten Igel für die Ablage ihrer Eier benutzen, ist dies für den Igel das sichere Todesurteil – es sei denn, er wird rasch aufgefunden und penibel von den Eiern und den schnell schlüpfenden gefräßigen Maden befreit. Die Fliegenmaden bestimmter Arten, z.B. von Goldfliegen, sind allerdings nicht per se schädlich; sie fressen bevorzugt »nekrotisches«, also abgestorbenes, brandiges Gewebe und beseitigen gleichzeitig gefährliche Bakterien. Bevor sie ihre Nahrung aufnehmen, verflüssigen sie diese mit Verdauungssäften. In der medizinischen Madentherapie werden Larven verwendet, die in spezialisierten Labors keimfrei gezüchtet werden. Der gezielt genutzte Madenfraß an einer infizierten, stark entzündeten Wunde entzieht den Bakterien praktisch den Nährboden; die Bakterien werden abgetötet und verdaut. Das Abheilen der so gereinigten Wunde wird nicht mehr ver- bzw. behindert. Wenn jedoch eine »normale« Fliege (oder mehrere) Tausende Eier auf ein geschwächtes bzw. verletztes Tiere ablegt und sich daraus innerhalb kürzester Zeit ebenso viele Maden entwickeln, dann ist, falls vorhanden, nekrotisches Gewebe schnell vertilgt, und der Fraß geht im gesunden Gewebe, an Muskulatur und schließlich den Organen weiter. Abgesehen davon, dass ihre Sekrete auch gesundes Gewebe schädigen können, finden die Larven ihren Weg schnell in sämtliche Körperöffnungen und richten dort irreversiblen Schaden an. Außerdem können die Fliegen gefährliche Keime verbreiten. Dass Maden andererseits sehr nützlich in der Wundbehandlung sein können, wussten schon vor langer Zeit Maya-Indianer und Stämme der Aborigines. Es war ein französischer Militärarzt und Chirurg unter Napoleon, Dominique Jean Larrey (1766-1842), der Anfang des 19. Jahrhunderts zwei wegweisende Beobachtungen machte: Er erkannte, dass Kälte die Schmerzempfindlichkeit herabsetzt und dass Verwundete, die nach einer Verletzung nicht sofort ins Lazarett kamen, sondern unbehandelt auf dem Schlachtfeld liegen blieben, höhere Überlebenschancen hatten. In ihre Wunden drangen nämlich Maden ein, die Krankheitserreger abtöteten und damit Wundinfektionen verhinderten. Larrey beobachtete, das Maden einer bestimmten Fliege nur totes Gewebe fraßen, womit sie zur Heilung der Wunden beitrugen. Vergeblich versuchte er Soldaten vom Nutzen der »lästigen Würmer« zu überzeugen – sie wollten diese nicht in ihren Wunden belassen. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts setzte der amerikanische Chirurg William S. Baer (1872-1931) schon sterile Maden von Schmeißfliegen in der Wundbehandlung ein und erzielte gute Erfolge. Dennoch konnte sich die Madentherapie nicht wirklich durchsetzen und geriet wieder bis in die 90er Jahre mehr oder weniger in Vergessenheit. Dann, 1991, wies der amerikanische Arzt Ronald Sherman über eine Studie nach, dass die Behandlung von Wunden mit keimfreien Fliegenlarven, die so genannte »Bio-Chirurgie« allen anderen nicht-chirurgischen Verfahren beim Entfernen von geschädigtem infizierten und abgestorbenen Gewebe (»Depridement«) überlegen ist. Wie beschrieben: Die Maden lösen abgestorbenes Gewebe und Wundbeläge deutlich schneller auf, ohne das gesunde Gewebe anzugreifen, sie vernichten Bakterien und Keime und stimulieren so den Heilprozess. |