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Stark mit Fliegeneiern befallener Igel; für Detailansicht bitte auf das Foto oder hier klicken. |
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Der Befall mit Fliegeneiern und Maden, die aus ihnen schlüpfen, gehört zu den Befunden, die Igelpfleger/innen
besonders fürchten. Hier hängt das Leben des betroffenen Igels quasi am seidenen Faden »Zeit«;
wie schnell ein Igel von den Parasiten befreit wird, entscheidet darüber, ob das Tier überlebt. Erschwerend kommt hinzu: Auf einem gesunden, unverletzten Igel, der
nur nachts aktiv ist, wird man kaum Fliegeneier finden – ein befallener Igel hat mit einiger Sicherheit schon im Vorfeld ein schweres gesundheitliches Problem. Seine Schwäche oder seine Wunden erkennen Fliegen rasch, wenn der Igel tagsüber unterwegs ist
oder ungeschützt ruht. Indem sie ihre Eier paketweise in Wunden, Hautfalten und Körperöffnungen ablegen, nutzen die sehr vermehrungsfreudigen Fliegen
den Igel praktisch als lebendes Nahrungsreservoir für ihren Nachwuchs.
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Wegen des zeitlich sehr kurzen Entwicklungszyklus vom Ei über die Larve zur fertigen Fliege, kann ein deutlich geschwächter Igel also rasch
unrettbar verloren sein, wenn Fliegen ihre Eier auf ihm ablegen. Die räuberisch lebenden Larven – bei Zweiflüglern wie Fliegen spricht man von
»Maden« – schlüpfen innerhalb von wenigen Stunden, je nach Temperatur acht bis 24 Stunden nach der Eiablage.
Sie beginnen sofort an ihrem Wirt, dem Igel, zu fressen. Sie begeben sich in Wunden und dringen bevorzugt in Körperöffnungen wie Ohren, Nasengänge,
Augen, Mäulchen, Genital- und Analöffnung ein sowie an geschützten Stellen wie Achselhöhlen, Beinbeugen und Halsfalten.
Stichwort Myiasis
Die »Fliegenmadenkrankheit« (»Madenfraß«) oder »Myiasis« (von myia, griech. für Fliege)
ist eine heimtückische Erkrankung, bei der die Larven von Fliegen in das Körpergewebe ihres lebendigen Wirts eindringen und sich von seinem Fleisch und seinen Körperflüssigkeiten ernähren. Sie zerstören damit das Gewebe (»Nekrosen«)
und verursachen schwere bakterielle Infektionen. Das befallene Individuum dünstet durch das sich zersetzende Gewebe, Fisteln und Geschwüre
einen typischen, sehr intensiven Geruch nach faulendem Fleisch aus.
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Schmeißfliege mit Larve und Puppe © Brehms Thierleben, Leipzig 1884 |
Die beweglichen Fliegenmaden stammen in der Regel aus den Gelegen von Goldfliegen, von Schmeiß- oder Fleischfliegen. Sie arbeiten sich zerstörerisch durch Haut- und Muskelgewebe durch
bis ins Körperinnere, sondern Sekrete ab, die auch gesundes Gewebe absterben lassen, um es dann vorverdaut aufzunehmen, und so fressen sie den Igel nach und nach von innen an- bzw. auf. Es ist
ein extrem grausamer, schmerzhafter Tod, wenn ein Igel so bei lebendigem Leibe verzehrt wird.
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Um das Schlimmste zu verhindern, muss man unverzüglich handeln, wenn man einen Igel gefunden hat, der von Fliegeneiern befallen ist. Und man muss absolut
gründlich bei der Entfernung der Eier vorgehen. Haben sich schon Maden entwickelt, ist es eine Frage der Zeit, ob man das Tier
noch retten kann, und auch hier kommt es darauf an, alle Maden vollständig zu entfernen, und das allerschnellstens. Nicht ein Ei, nicht eine
Made darf übersehen werden!
Woran erkennt man Fliegeneier und Fliegenmaden?
Auf den ersten Blick sieht ein mit Fliegeneiern verklebter Igel aus, als habe er sich unlängst in kleinsten Sägespänen gewälzt.
Fliegeneier haben eine gelbliche Farbe, am ehesten erinnern sie von Konsistenz und Aussehen her an zerkrümeltes hartgekochtes Eigelb.
Die Fliegen kleben
ihre Eier meist paketweise an die »günstigsten« Stellen am Igel. Vorzugsweise sind das offene Wunden oder aber
dunkle, geschützte Stellen, wo leicht Körperflüssigkeiten zu finden sind. Bei stark befallenen Igeln sieht man die Eigelege schon
von weitem zwischen den Stacheln und im Gesicht, teilweise sind Ohren und Augen kaum mehr zu erkennen wie auf dem Bild oben.
Neben schwer verletzten Igeln sind am häufigsten geschwächte (Jung)Tiere betroffen.
Ein Gelege-Paket kann aus -zig miteinander verklebten einzelnen Eiern bestehen – und Fliegen sind
vermehrungsfreudige und fruchtbare Schmarotzer, die zahllose Eier legen. Je nach Art können das pro Gelege einige hundert Eier bis mehr als tausend
Eier sein, von denen jeweils etwa fünfzig bis hundert oder mehr einzelne Eier auf einmal wie ein Paket abgelegt werden.
Das einzelne Ei hat die Form eines winzigen länglichen Reiskorns oder Stäbchens; es misst etwa einen Millimeter. Aus den Hunderten
von Eiern schlüpfen, abhängig vor allem von der Temperatur, innerhalb weniger Stunden bzw. eines Tages, die enorm gefräßigen Maden.
Bei Befall mit Fliegeneiern ist höchste Eile geboten: Ein Igel, auf dem im Hochsommer morgens Eier abgelegt wurden, kann abends
schon angefressen und bald darauf totgeweiht sein!
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Igel mit Fliegeneier- bzw. Madenbefall liegen meist völlig apathisch
auf der Seite. Auf Berührung reagieren sie nicht, rollen sich also nicht ein, und sie verweigern das Fressen.
Wie entfernt man Fliegeneier und Fliegenmaden?
Es gibt dafür verschiedene Empfehlungen. Bei der Behandlung muss man nach Eiern und bereits geschlüpften Maden unterscheiden.
Fliegeneier
Wurde der Igel frühzeitig gefunden und es wurden nur vereinzelt Eier abgelegt, kann man diese mit Hilfe
eines Zahnstocher vorsichtig lockern und dann mit einer weichen Zahnbürste (alternativ Floh- und Staubkamm) entfernen.
Bei dicken Eierpaketen und regelrechten Verkrustungen tut man sich leichter, wenn man
diese erst mit lauwarmen Wasser aufweicht; dadurch kleben die Eier nicht mehr zusammen und lassen sich einfacher mit einer
weichen Zahnbürste entfernen. Wenn ein Igel stark befallen und zudem ausgekühlt ist, bade ich diesen Igel in lauwarmem Wasser
– so lösen sich die Eier anschließend leichter und außerdem wird der Igel etwas aufgewärmt. Natürlich muss er
anschließend vorsichtig mit Tüchern getrocknet werden!
Fliegeneier zu entfernen ist eine aufwändige Prozedur, die viel Zeit kostet und Akribie erfordert –
will man das Leben
des Igels retten, gibt es dazu aber keine Alternative!
Gründlichkeit ist entscheidend: Den Igel immer systematisch absuchen, vor allem auch alle Körperöffnungen, Halsfalten und Beinbeugen!
- Fliegenmaden
Für die Entfernung von Fliegenmaden kann man eine Pinzette nutzen – es ist eine mühsame Arbeit. Weil man
es nicht selten mit einem Massenbefall zu tun hat, der häufig auch diverse Körperöffnungen betrifft, bietet sich bei unverletzten Igeln zusätzlich (!) das
Baden in lauwarmer Sebacil-Lösung (1 ml Sebacil auf 1 Liter Wasser) an; das weicht die Maden auf. Sebacil
darf keinesfalls bei offenen Wunden angewendet werden!
Maden in Wunden betupft, beträufelt oder sprüht mit ein mit einer Dectomax-Lösung (1 Teil Dectomax + 29 Teile
steriles Sesamöl). Damit werden die Maden herausgelockt.
Alternativ kann man u.a. auch Ivomec-Lösung (1 Teil Ivomec + 29 Teile physiologische Kochsalzlösung) zum Betropfen und Baden verwenden.
Die Fliegeneier lassen sich dann als dickes Paket herrausziehen, was man nicht erwischt, stirbt ab.
Sebacil, Dectomax und Ivomec sind verschreibungspflichtig, Bezug nur über den Tierarzt!
Wichtig: Bei Unsicherheiten und im Zweifelsfall immer umgehend einen fachkundigen Tierarzt aufsuchen, der nach den Empfehlungen der Pro Igel e.V.-Veröffentlichung
»Igel in der Tierarztpraxis« arbeitet!
Nachsatz: Diese Informationen habe ich zusammengetragen nach dem vergeblichen Kampf gegen den Madenfraß bei einem alten Igelweibchen,
das unrettbar stark von Fliegeneiern und Unmengen Maden befallen war. Auch wenn es geteilte Ansichten über das Schmerzempfinden der Igel in solchen Situationen
gibt, habe ich diesem Igel noch ein hochdosiertes Schmerzmittel gegeben und gemerkt, dass er sich dann entspannt und gelockert hat. Kurz darauf erlag er der
Myiasis. Im Endstadium erlebte ich, wie der Igel aus Mäulchen und anderen Körperöffnungen blutete und müsam nach Luft schnappte – in solchen Situationen
sollte das Tier rasch erlöst werden, was in meinem Fall nicht möglich war, weil es außerhalb der Tierarztsprechzeiten war. Wie schrecklich so ein Eier- und
Madenbefall aussehen kann, habe ich mit einem Detail-Foto (Achtung, kein Foto für
empfindliche Menschen!) des befallenen Igelkopfes dokumentiert Der Pfeil deutet auf eine Gruppe Maden. Die Zähne des alten abgemagerten Igelmädchens sind schon abgekaut und von Zahnstein stark verfärbt.
Myiasis: Nutzen und Schaden – ein Exkurs zum Thema
Es gibt oft zwei Seiten einer Medaille. Madenfrass (Myiasis) ist nicht gleich Madenfraß – er kann tödlich enden, aber auch Leben retten.
Da sind ...
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einerseits die Wirtstiere wie Igel, Kaninchen etc., die auf grausame Weise Opfer der gierig fressenden Fliegenlarven werden,
andererseits die Erfolge in der Wundbehandlung, denn gezielt eingesetzte Fliegenlarven können therapeutisch helfen, wenn
nichts anderes mehr hilft, eine chronische Wunde von multiresistenten Keimen besiedelt ist und Antibiotika wegen Resistenzen
ausgereizt sind.
Madenfrass kann also Fluch oder Segen sein, je nachdem ob er unkontrolliert oder kontrolliert und gewollt abläuft.
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