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Jürgen Tautz / Diedrich Steen:

Die Honigfabrik Die Wunderwelt der Bienen – eine Betriebsbesichtigung

An Fachliteratur über Honigbienen und Imkerei mangelt es nicht. Gerade durch den Hype um die Bienenhaltung – besonders auch in Städten – und das wachsende Bewusstsein für die Nöte unserer Insekten vergrößert sich das Sortiment einschlägiger Bücher stetig. Aber kaum eine Neuerscheinung der vergangenen Jahre verdient eine so warme Empfehlung wie »Die Honigfabrik« von Jürgen Tautz und Diedrich Steen. Der international anerkannte Bienenexperte Tautz, ehedem Professor am Biozentrum der Uni Würzburg, und der mit Imkertradition aufgewachsene und seit 20 Jahren imkernde Steen bilden ein Autorenteam, bei dem sich Wissen, Erfahrung, Praxis, Forschung, Geist und Humor optimal vereinen. Ihr Buch mit dem Untertitel »Die Wunderwelt der Bienen – eine Betriebsbesichtigung« ist ein wahrer Glücksfall: Es spricht, wenn es denn den Weg zu ihnen findet, über aktive und werdende Imkerinnen und Imker hinaus alle an, die sich für Natur, Umwelt und das spannende Leben der vorrangig als Honig-Produzentinnen wahrgenommenen Insekten interessieren. Laien kann es nicht nur einen tiefen Einblick in die faszinierende Welt dieser Staaten bildenden Insekten verschaffen; es ist auch durch die lebensnahe, oft von einem Augenzwinkern begleitete Art der Wissensvermittlung dazu angetan, auf ebenso spannende wie lehrreiche Weise zu unterhalten. Wer sich also auf eine Reise in die erstaunliche Welt der Bienen einlassen und eintauchen möchte in diesen Kosmos durchstrukturierter Arbeitsaufträge, Arbeitsabläufe, Lebensaufgaben und Lebensformen wird bei der Lektüre immer wieder schmunzeln – und muss keinen Imkerkurs vorher absolviert haben. Im Gegenteil!

Dort, wo Imker glauben, einfache Antworten zu kennen, erfahren sie erhellende Hintergründe, begreifen neu Zusammenhänge und verstehen, was sie vorher als Fakt oder Gegebenheit erlernt, aber nicht wirklich erläutert bekommen hatten. Etwa die Frage, warum man am Bienenvolk tunlichst hektische Bewegungen vermeiden sollte. Ganz einfach: Bienen sehen schnelle Bewegungen besser als langsame, und so weckt hektisches Hantieren am offenen Volk die Stechlust. Oder die Sache mit dem Rauch: Imker »besänftigen« ihre Bienen bei der Durchschau gern mit einem Rauchstoß aus der Imkerpfeife oder dem Smoker. Die gängige Meinung ist: Rauch beruhigt Bienen. Diese – als ehemalige Bewohner von hohlen toten Bäumen – wähnen einen Waldbrand nahen, sobald der Imker ihnen Rauch gibt. Und sie verschwinden in die Beute und suchen nach Honigvorräten, angeblich um vor einer möglichen Flucht ihre Honigblase zu füllen. Aber Rauch beruhige sie nicht, er versetze sie in einen Alarmzustand, sagen die Autoren. Der Effekt ist zwar so oder so derselbe: Die Bienen weichen und der Imker kann seine Wabe ziehen. Aber das Aufnehmen des Honigs diene wohl kaum der Vorbereitung der Flucht mit vollem Magen. Dabei müsste nämlich das wichtigste Glied ihrer Gesellschaft, die Königin, zurückbleiben – unvorbereitet und ohne vorherige »Diät« ist sie zu schwer, um mitfliegen zu können. Vielmehr könnten thermo-physikalische Effekte die Bienen dazu veranlassen, ihre Honigblase prall zu füllen, spekulieren die Autoren. Dadurch vergrößere sich nämlich ihre Körperoberfläche, und vielleicht würde so ihre Überlebenschance bei einem rasch durchziehenden Brand steigen.

Tautz und Steen arbeiten in ihrem lesenswerten Buch gern mit Bildern. Die wecken Assoziationen und fördern im Vergleich mit Bekanntem das Verständnis für Komplexes und Neues. So porträtieren sie den Bienenstock samt seiner Bewohner und Aktivitäten nicht nur im Titel als »Honigfabrik«, sondern spinnen diesen Vergleich auch konsequent weiter für die Beschreibung von Miteinander, Aufgabenteilung, Funktionieren dieses Zehntausende Individuen umfassenden Organismus, der ein großes Ganzes bildet und nur als solches leben und überleben kann.

Immer wieder gelingen den Autoren solche hübschen Analogien, zum Beispiel bei der Charakterisierung der Winterbienen: »Die erste und wichtigste Aufgabe, die sie nach dem Schlupf haben, ist, sich ein Bäuchlein zuzulegen«, erklären sie. »Das fällt ihnen nicht schwer, denn es ist wie beim Menschen auch: Wer wenig Energie verbraucht und dennoch ,normal' isst, der bekommt eine Wampe [...] Winterbienen sind dicke Mädchen«. Mit einem anderen einprägsamen Vergleich vermitteln die Autoren ihren Leserinnen und Lesern eine Vorstellung davon, was es für die Bienen bedeutet, wenn ihr Imker viel »wandert«, also sie häufiger an neue Stellen umsiedelt, um sie dort gezielt Nektar sammeln und Blüten bestäuben zu lassen, etwa im Raps oder in der Heide: »Mehrmals umgesetzt zu werden, bedeutet für die Völker einen enormen Stress, weil ja das ganze Haus oft über längere Zeit hinweg bewegt wird. Man stelle sich einfach vor, die eigene Wohnung wäre mehrere Stunden lang einem leichten Erdbeben ausgesetzt. Es geht nichts kaputt, aber diese dauernden Erschütterungen gehen ungeheuer an die Nerven.« Dazu käme noch, dass sie sich am neuen Standort wieder neu orientieren müssen und zudem nur einseitig ernährt werden.

Kritische Töne finden die Autoren auch für die Veränderung der Lebensumwelt unserer Bienen, die menschengemacht ist: land(wirt)schaftliche Einöde, fehlende Nahrungsangebote, Pestizide ... Sie fragen, wie es um die Zukunft der Bienen bestellt ist und welche Faktoren ihre Gesundheit gefährden, aber auch, inwieweit der Mensch ein Tier »wesensgemäß« halten kann, wenn er das Wild- zu einem Nutztier macht. Nur selten wird die Lektüre für interessierte Laien doch etwas speziell und anstrengend, so etwa wenn es um die Informationsvermittlung im Bienenvolk über das Tanzen der Immen, den so genannten Schwänzeltanz geht. Wem das allzu kompliziert ist, dem sei geraten, ein paar wenige Seiten zu überblättern und anschließend entspannt weiterzuschmökern.

Ein kleiner Wermutstropfen: Einem Buch, das in so eingängiger Weise hochkomplexe Zusammenhänge nachvollziehbar und unterhaltsam darstellt, hätte man an einzelnen Stellen eine etwas sorgfältigere technische Umsetzung gewünscht. So gerät mal eine Bildunterschrift auf die nächste Seite, man stolpert über eine Trennung wie »Brutzel-len« und bedauert, dass die Fotos en bloc am Ende und nicht themenbegleitend im Text zu finden sind – vermutlich, weil sich das Papier des Textteils nicht für den Druck von Fotos eignet. Schade eigentlich. Das aber tut dem Buch keinen spürbaren Abbruch. Es ist einfach gut und lesenswert. Gestandenen Imkern sollte man es zur Auffrischung und Horizonterweiterung ans Herz legen, Imkerkurse sollten es als Begleitlektüre empfehlen und, last not least, Imkerkurs-Leiter sollten es als (sehr angenehme) Pflichtlektüre betrachten.


Gütersloher Verlagshaus 2017, 272 Seiten + 8 Fotoseiten, ISBN 978-3-579-08669-9

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