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Schmerzen gehören zum Klassischen TanzKlassisches Ballett kann jeder lehren / Erkenntnisse der Sportwissenschaften könnten vielem Leid vorbeugenSchmerz gehört zum Alltag, die Bezahlung ist schlecht, die lange Ausbildungszeit steht in keinem Verhältnis zur Berufserwartung. Professionelle Balletttänzer brauchen viel Idealismus. Ihre Karriere ist kurz. Wer Pech hat, den entlässt das Theater mit Knochenschwund, Knie- und Hüftschäden ins Leben danach. von Maja Langsdorff Eine Tänzerin schwebt im Tutu über die Bühne - ein Traum von Leichtigkeit und Ästhetik. Doch ein Blick hinter die Kulissen offenbart: Klassisches Ballett ist nicht nur knallharter Leistungssport, sondern auch eine traditionsverhaftete Disziplin, in die kaum Erkenntnisse der modernen Sportmedizin vordringen, in der durch Nichtwissen und Ignoranz Verletzungen provoziert werden und Schäden programmiert sind. Yasmin Arendt, 30, Assistenzärztin für Orthopädie am Offenbacher Klinikum und ehemalige Balletttänzerin, hat für ihre Dissertation 77 Tänzerinnen und Tänzer untersucht. In den vorangegangenen fünf Jahren hatte diese sich 567 Verletzungen und Überlastungsschäden zugezogen. Am häufigsten waren Lendenwirbelsäule (88%), Kniegelenke (80,5%) und Sprunggelenke (74%) betroffen. Sie glaubt, korrekte Technik, einfache Hilfsmittel wie Gelenkschutz und Matten, und genügend Erholungszeiten wären schon eine gute Prophylaxe, »so dass Tanzen per se nicht gefährlich« sein müsste. Die Sportmedizinerin Eileen Wanke, 36, plädiert für Ausdauertraining im klassischen Ballett - auch wenn Tänzer davon nicht begeistert seien. Die Bremerin war bis vor drei Jahren selbst aktiv - »tagsüber war ich Ärztin, abends stand ich als Schneeflocke auf der Bühne«. Die Belastung im Ballettsaal und auf der Bühne vergleicht sie mit Sprints, 50 Prozent der Zeit stehe man herum und warte. Mit einer Studie am Stadttheater Bremerhaven hat sie nachgewiesen, wie wichtig Ausdauertraining ist: »Fehlt die Ausdauer, übersäuert sich der Muskel, die Koordinationsleistung lässt nach und die Verletzungsanfälligkeit steigt«. An Erkenntnissen mangelt es also nicht. Wo sie aber nicht umgesetzt werden, wo nach überkommenen Methoden unterrichtet und ein rigides Körperideal propagiert wird, zerbricht viel Porzellan. »Dabei ist klassisches Ballett eine einzigartige Symbiose aus Kunst und Sport«, schwärmt Wanke. Es bereite den Körper »wie keine andere Sportart auf alle Belastungen im Leben vor«. Liane Simmel, 37, Tanzmedizinerin in München und auch ehemalige Tänzerin, stimmt zu: »Tanz ist die ideale Möglichkeit für Kinder, sich bewegen und Freude am Körper entwickeln zu lernen, denn es integriert das Künstlerische, Musikalische. Sie lernen, sich in der Gruppe einzugliedern und müssen sich trotzdem als Individuum anstrengen.« Ballettunterricht fördere die Koordinations- und Konzentrationsfähigkeit. Doch nicht nur in den privaten Ballettschulen versperren sich Pädagogen Neuerungen. Seit Jahren schon kämpft der Berufsverband der Tanzpädagogen für eine staatlich geprüfte und anerkannte Ausbildung, ohne Erfolg. »Tanzpädagoge kann sich jeder nennen, der Begriff ist nicht geschützt«, moniert die Orthopädin Elisabeth Exner-Grave, 38, Oberärztin in der Rehaklinik Bad Schönborn, ausgebildete Tänzerin und Vorstandsmitglied von TanzMedizin Deutschland (TaMeD), einem 1997 gegründeten Verein, der sich u.a. das Ziel gesetzt hat, die Tanzmedizin in tanzbildenden Hochschulen und Ausbildungsstätten zu etablieren. »Was man in der Sportwissenschaft schon lange weiß, kommt im Tanz einfach nicht an«, kritisiert Liane Simmel. »Die meisten Pädagogen sind irgendwann der Compagnie entsprungen und schöpfen aus der eigenen Tanzkarriere«. Ihnen fehle das Knowhow in Pädagogik, Psychologie, Medizin, Ernährungslehre, Trainingsaufbau. Fortschrittlich und aufgeschlossen seien in Deutschland nur eine Handvoll Schulen, so die Dresdner Palucca-Schule und die Staatliche Ballettschule in Berlin, wo man - leider alles andere als eine Selbstverständlichkeit - sogar mit Abitur abschließen könne. In vielen Schulen und privaten Akademien wird dagegen weiterhin versucht, körperliche Mängel durch Drill und Disziplin zu kompensieren - mit fatalen Folgen, die von Zerrungen über Ermüdungsbrüche und frühen Knochenverschleiß bis hin zur Magersucht reichen. Tänzerinnen und Tänzer müssen ihren Körper wörtlich »be-herrschen«. Diäten sind Alltag, Trinken während des Trainings gilt häufig als Disziplinlosigkeit. Eigentlich müssten gerade Tanzende ein gutes Verhältnis zu ihrem Körper haben, denn, so Simmel, »wenn ich meinen Körper beherrschen will, muss ich auch wissen, wie er ungefähr funktioniert - aber anatomische Kenntnisse hat kaum ein klassischer Tänzer«. Im Ballett lerne man schon in der Ausbildung, dass Schmerz normal ist. »Diese schmerzverankerte Disziplinierung wird sehr früh impliziert«, ergänzt Elisabeth Exner-Grave, »das fängt schon mit dem Spitzentanz an.« Yasmin Arendt ermittelte, Tanzende würden so häufig von körperlichen Beschwerden und Missempfindungen begleitet, dass dies »zum einen zu einer gewissen Schmerztoleranz, zum anderen auch zu einer Bagatellisierungstendenz« führe. Exner-Grave: »Man lernt einfach, mit diesem Schmerz zu leben, ihn aber auch teilweise zu ignorieren. Das ist gefährlich«. Kinder müssten, so Simmel, aber schon in der Ausbildung merken, dass Schmerzen Warnsignale sind. Im Klassischen Ballett hat sich der Körper nach dem Ideal zu richten, und das schreibt zum Beispiel eine besondere Beweglichkeit des Hüftgelenks vor. Die Außenrotationsfähigkeit - im Fachjargon »en dehors« oder »turn-out« - sollte 60 bis 70 Grad betragen. Der deutsche Durchschnittsbürger bringt gerade mal 40 bis 50 Grad mit, und Exner-Grave misst auch oft bei deutschen Schülern der Stuttgarter Crankoschule nicht mehr als 55 Grad. Der Rest der Rotation muss aus dem Knie- und Sprunggelenk genommen werden, um die klassische 1. Position mit dem 180-Grad-Winkel zwischen beiden Füßen erreichen zu können, oft um den Preis späterer Meniskus- und Fußgelenksschäden. Dieses Auswärtsideal im Blick wähle man, so Simmel, »im Endeffekt Körper aus, die auch im normalen Leben schon die Disposition zu einer Arthrose in der Hüfte haben«. Götz Lehle, 42, Arzt und Tanzmediziner mit Schauspielervergangenheit, beschäftigt in einem Therapiezentrum für Künstlerinnen und Künstler bei Freiburg, stört sich mehr am Atmungsideal im Ballett: Die Bauchatmung ist verpönt, der Rumpf muss so flach wie möglich sein. Die Thoraxbewegung sei zwar erlaubt, »aber nur Turnvater-Jahn-mäßig nach oben«. Diese unfreie Atmung führe zu Verkrampfungen des Zwerchfellmuskels, was sich auf den großen Hüftbeugemuskel Iliopsoas auswirke. Das kann Verkürzungen, Verspannungen und die berüchtigte »schnappende Hüfte« - eine Sehne rutscht spür- und hörbar über den vorderen Teil des Hüftkopfbereiches - nach sich ziehen. Viel Leid ließe sich vermeiden, hätten Tanzpädagogen, Trainingsleiter und Choreographen mehr Einsicht und eine medizinische Vorbildung, und wären auch Tanzende besser informiert. Aus Unkenntnis aber und Angst vor dem Verlust des Engagements mucken viele nicht auf gegen krankmachende Ideale, wagen gefährliche Sprünge, tragen unangepasstes Schuhwerk, akzeptieren Bodenbeläge, die den Aufprall nicht absorbieren und anderes mehr - der Beruf ist Berufung. Immer öfter endet die Karriere schon im dritten Lebensjahrzehnt. Für ein Gehalt von vielleicht 1400 Euro im Monat (West-Tarif 2b), für das ein Profifußballer wohl kaum ein Bein heben würde, zieht sich manche/r auch bleibende körperliche Schäden zu: verschlissene Hüftgelenke und Knie, Wirbelsäulen- und Fußprobleme, Schiefzehen, frühe Osteoporose durch Magersucht und Mangelernährung. Das Aus kommt oft unvorbereitet durch eine Verletzung. Simmel: »Wenn ich von einem Tag auf den anderen aufhöre, habe ich zum einen keine sozialen Kontakte mehr, denn was hab ich denn schon außerhalb des Theaters? Zum anderen fühle ich mich in meinem Körper nicht mehr wohl. Wir wissen von Depressionen, Alkoholproblemen…«. Doch wer tanzt, tanzt und verschließt vor dem Danach die Augen. Die Münchner Ex-Ballerina, die an ihrer Alkoholsucht starb, ist kein trauriger Einzelfall. |
Nur Muskeln, Haut und Knochen:
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Mit Tanzen lässt sich schon früh unter Gleichaltrigen und mit Musik die Lust an der Bewegung fördern; spielerisch wird so die Beweglichkeit, die Koordinations- und Konzentrationsfähigkeit trainiert. Tanz ist auch bei Haltungsschwäche, X-Beinen oder Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose) ein sehr gutes Mittel, die Balance des Körpers zu verbessern. Eltern, die erwägen, ihre Kinder »ins Ballett« zu geben, sollten aber einiges beachten. Empfehlenswert ist eine Schule dann, wenn die Person, die unterrichtet, eine (tanz)pädagogische Ausbildung hat, was leider nicht die Regel ist. Eltern sollten gemeinsam mit ihrem Kind die Schule auswählen und ruhig auch mal bei einem Training zuschauen. Wo jedoch ständig Eltern präsent sind, werden Kinder zu stark abgelenkt. Mit klassischem Ballett sollte nicht vor der Einschulung begonnen werden, sondern erst etwa ab der zweiten oder dritten Volksschulklasse. Davor können die Koordination und Musikalität durch andere Arten von Tanz, etwa den zeitgenössischen kreativen Kindertanz, geschult werden. |
Spitzentanz darf erst aufgenommen werden, wenn die Knochen hart genug sind, also nicht vor dem elften Lebensjahr. Bevor
ein Mädchen seine ersten Spitzenschuhe anzieht, muss es mindestens schon drei bis vier Jahre trainiert
haben. Dreimal die Woche ein Training von ein bis anderthalb Stunden reicht für ein Kind aus. Es sollte
maximal in Halbjahres- oder Jahresschritten gesteigert werden.
Entwickelt ein Mädchen den Wunsch, Tänzerin zu werden, sollten die Eltern es früh, mit 12 bis 14 Jahren, zu einer Eignungsprüfung an einer staatlichen Schule anmelden - auch um zu sehen, wo das Kind mit seiner bisherigen Ausbildung steht. Wichtig ist dabei auch eine gezielte medizinische Untersuchung, und, je nach Befund, mindestens eine Kontrolluntersuchung ein Jahr später.
Adressen von Ärzten, die sich mit Tanzmedizin befassen kann man erfragen über TaMeD, An der Maitanne 36, 64295 Darmstadt, Telefon 06151/39 17 601, Fax 06151/39 17 602. |
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Interessante Links zum Thema:
Internetseite von TanzMedizin Deutschland e.V. (TaMeD)
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