Wenn nachts die Zähne knirschenStress ist die Hauptursache, wenn Menschen versuchen, ihre Probleme nachts im Schlaf mit den Zähnen zu zermalmenWer tagsüber allzu oft die Zähne zusammenbeißt und den Reflex unterdrückt, mal ordentlich seine Zähne zu zeigen, erlaubt es sich unter Umständen nachts - und merkt es nicht einmal. Zähneknirschen ist weit verbreitet und kann schmerzhafte Folgen haben. von Maja Langsdorff Vor allem Stresssituationen wie psychische Anspannung, seelische Belastung oder beruflicher Druck sind daran schuld, wenn Menschen beginnen, nachts mit ihrem Gebiss zu arbeiten. Sie knirschen und mahlen mit ihren Zähnen, beißen sie heftig aufeinander oder pressen die Zunge gegen Zähne und Gaumen. Häufig machen sie dies, ohne selbst etwas davon zu bemerken, und wachen morgens wie gerädert auf. Sie fühlen sich unwohl, ihre Kaumuskeln schmerzen, die Zähne sind druckempfindlich, Nacken und Schultern sind verspannt, im Extremfall kann der Mund nur noch unter Schmerzen geöffnet werden, und die Schmerzen strahlen in den Nacken, aber auch zu den Schläfen und Ohren hin aus. Starke Zähneknirscher setzen ihr Gebiss und ihr Kausystem einem enormen Druck aus. Frauen erreichen zwischen den Zahnreihen einen Druck von bis zu 300 Kilo, Männern sogar 400 Kilo, wie man der Internet-Seite der Schweizer Zahnarztpraxis Niederdorf entnehmen kann. Die Folgen von anhaltender nächtlicher Zahnarbeit erkennt der Zahnarzt unter anderem an auffallend starken Kaumuskulatur am Kiefer und an den Schläfen, erklärt der Münchner Zahnarzt Andreas Leitner, der auf Störungen im Bereich von Kopf, Hals, Nacken und Schultern spezialisiert ist. Hartnäckiges Zähneknirschen hinterlässt Spuren auf den Kauflächen, die so genannten Schlifffacetten. Durch das unkontrollierte Knirschen werden die Kauflächen allmählich abgenutzt, mehr oder weniger gleichmäßig. Durch die ständige Überbelastung können beispielsweise in Porzellanfüllungen, die zwar hart, aber auch spröde sind, Risse entstehen. Nicht nur die Zahnsubstanz, auch das Zahnstützgewebe leidet durch die Überbeanspruchung. Die Kaumuskulatur beginnt sich zu verkrampfen, und die Kiefergelenke werden stark strapaziert, was zu Gelenkknacken im Kiefer führen kann. In sehr drastischen Fällen knirschen Betroffene so lange, bis ihre Zähne bis aufs Zahnfleisch hinuntergeschliffen sind. Dass Menschen, die unter starkem Druck stehen, ihren Stress so sinnbildlich ausleben - »Zähne zusammenpressen und durch!« -, hat für Fachleute eine gewisse Logik. Der Wiener Zahnarzt Professor Rudolf Slavicek hat die Zusammenhänge schon vor etlichen Jahren in der Fachzeitschrift »Informationen aus Orthodontie und Kieferorthopädie« so erklärt: »Pressen und Knirschen sind notwendige, stressverarbeitende Mechanismen des menschlichen Kauorgans in psychischen Stresssituationen.« Sie treten nach Slavicek besonders dann auf, »wenn das primäre Problem wegen gesellschaftlicher Zwänge oder einer unbewussten Verdrängung nicht gelöst werden kann.« Grundsätzlich eigne sich das Kauorgan des Menschen »relativ gut zur Stressverarbeitung«. Was psychologisch hinter dem Zähneknirschen steckt, hinterfragt der Sonthofener Zahnarzt Joachim Stoffel. Er hat zwei Grundtypen von Zähneknirschern ausgemacht: diejenigen, die auf den Frontzähnen knirschen, und die Backenzahnknirscher. »Auf den Frontzähnen«, sagt er, »knirschen häufig Menschen, die ihre Aggressionen nicht ausleben können. Man sieht es ja bei Kindern, sie schieben das Kinn vor, wenn sie wütend sind, und machen damit eine Drohgebärde - dabei stehen die Zähne aufeinander. Die Erwachsenen dürfen das nicht – sie machen ein Pokerface, und nachts im Traum holt sie die unterdrückte Aggression ein: Sie schieben den Unterkiefer nach vorn und reiben auf den Frontzähnen.« Jene dagegen, die mit den Backenzähnen knirschen und mahlen, sind nach Stoffel »auf der Suche nach innerem Halt, ein bisschen verunsichert, und sie zermalmen sinnbildlich ihre Anspannung und Probleme auf den Backenzähnen.« Es sind eher introvertierte Menschen, die sich ihre Aggressionen und Ängste nicht anmerken lassen möchten und gewissermaßen im Schlaf abarbeiten und ausleben. »Der ruhige Typ ist der Zahnpresser«, sagt auch Andreas Leitner. Zähneknirschen und –pressen kann aber auch banale mechanische Ursachen haben: eine zu hohe Füllung, eine schlecht angepasste Krone irritiert das Zusammenspiel von Kaumuskulatur und Kiefergelenk, und der Betreffende versucht unbewusst im Schlaf, diese »Hindernisse« zu beseitigen. Für Stoffel und Leitner spielen die mechanischen Ursachen zwar eine Rolle, aber eine eher untergeordnete. Es sei selten, dass ein Patient nur wegen einer zu hohen Füllung knirsche. Fast immer gehöre dazu auch eine seelische Komponente, eben der Stress. Und: »Sehr, sehr viele Patienten knirschen selbst auf den schönsten Kauflächen noch weiter«, weiß Stoffel. Dass Stress die Hauptursache fürs Zähneknirschen ist, haben auch Wissenschaftler der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität herausgefunden. Unter der Leitung der Professoren Wolfgang Raab und Matthias Franz haben das Institut für psychosomatische Medizin und die Poliklinik für präventive Zahnheilkunde und Zahnerhaltung in einem psychophysiologischen Forschungsprojekt das nächtliche Zähneknirschen – den Bruxismus – untersucht. Sie stellten fest, dass »mentale Belastungssituationen«, also Konzentrationsaufgaben und hohe geistige Anforderungen, sich auf die Kaumuskulatur auswirken – und zwar keineswegs so, dass diese angespannt werde, im Gegenteil. Ralf Schäfer, Psychologe im Psychophysiologischen Labor der Uni: »Bei mentaler Belastung ist die Muskelanspannung des Kaumuskels reduziert.« Man stelle sich, flapsig ausgedrückt, sozusagen mit offenem Munde der Belastungssituation und könne sich gegen sie nicht abgrenzen. »Die normale, gesunde Reaktion wäre, dass man die Zähne zusammenbeißt, oder, evolutionär gesprochen: die Zähne fletscht. Das machen die Betroffenen nicht. Sie verschieben wahrscheinlich ihr Stressempfinden und die Verarbeitung der belastenden Situation in die Nacht.« Konventionell wird Patienten, denen man aufs Zähneknirschen gekommen ist, meist nur zur Schonung der Zähne eine Bissplatte verordnet, die sie nachts tragen müssen. Die Wissenschaftler der Düsseldorfer Universität prüfen nun experimentell, in wieweit sich das Zähneknirschen beeinflussen lässt, wenn man gezielt bei der Stressverarbeitung ansetzt. In einem auf zwei Jahre befristeten Projekt untersuchen sie seit Januar die Wirkung von psychotherapeutischen Methoden wie Stressbewältigungstraining, Entspannungstraining und Muskel-Biofeedback auf das Zähneknirschen. Spezialisierte Ärzte wie der Münchner Zahnarzt Andreas Leitner plädieren schon lange dafür, das Zähneknirschen von verschiedenen Seiten anzugehen: die mechanischen Ursachen zu beseitigen, für die eigentlichen Ursachen zu sensibilisieren und notfalls vorübergehend auch die unzulängliche Art, Stress zu kompensieren, medikamentös zu behandeln. »Wenn der Stress ausgeräumt ist, beruhigt sich der Mensch – der Körper läuft nicht von allein auf Hochtouren, er wird von irgend einem äußeren Faktor dazu getrieben«, glaubt Leitner. Auch Stoffel ist überzeugt davon: »Wenn der Stress vergeht, dann hört auch das Knirschen wieder auf.« Er rät seinen Patienten zuallererst zur Selbstbeobachtung. »Manchmal bringt diese Selbstbeobachtung, dieses Sich-Bewusstmachen der Zusammenhänge, schon eine Besserung.« Bei beruflichem Stress können Yoga und Autogenes Training helfen, manchmal aber wird auch der Gang zum Psychotherapeuten nötig sein. Gerade junge, berufstätige Menschen knirschen besonders häufig mit den Zähnen, hat kürzlich die Britische Stiftung für Zahngesundheit ermittelt. »Bei Patienten über 30 sehe ich mindestens bei jedem zweiten Abnutzungen an den Zähnen, die ich mir aufgrund des Alters und den in unseren Kulturkreisen üblichen Ernährungsweisen nicht erklären kann«, sagt Stoffel. »Da muss irgendwo etwas geschehen, das Stress und Druck auf die Zähne überträgt.« Eigentlich, meint sein Kollege Leitner, sollte ein Zahnarzt neben seiner normalen Tätigkeit auch erzieherisch auf den zähneknirschenden Patienten einwirken und ihn dazu bringen, im eigenen Interesse an den eigentlichen Ursachen zu arbeiten. Dazu müsste er aber nach Ansicht von Stoffel psychologisch geschult sein. Doch: »Es interessieren sich sehr, sehr wenige Kollegen für die seelischen Aspekte ihres Berufes.« Was fehlt, ist eine ganzheitliche Betrachtung - und mehr Kooperation von Fachleuten wie Zahnarzt, Orthopäde, Neurologe, Psychotherapeut.
Adressen:
Eine Adresse in Stuttgart für Zähneknirscher finden Sie unter http://www.anti-zaehneknirschen.de/
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