Artikelarchiv von Maja Langsdorff
Der folgende Artikel wurde in Heft 4/2001 im »KSA Informationsdienst Konsum und Sucht« zum Thema »Essen & Trinken« veröffentlicht
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Trinken zwischen Pflichtübung und Ausflucht
Gestörtes Trinkverhalten bei Essstörungen
Essgestörte haben häufig Probleme mit dem Trinken. Durch das krankhafte Essverhalten
geht auch das Gefühl für Durst verloren. Die Aufnahme von Flüssigkeit ist dann stets an
einen Zweck gekoppelt: Sie erleichtert das Erbrechen, lenkt vom leeren Magen ab oder dämpft
- mit Alkohol - Unlustgefühle.
von Maja Langsdorff
Trinken ist lebensnotwendig - ohne Wasser kann man nur wenige Tage überleben. Fehlt es an
Flüssigkeit, trocknet der Körper aus, das Blut verdickt sich, kann weniger Sauerstoff transportieren
und wird nicht ausreichend gereinigt, Stoffwechsel- und Nierenprobleme treten auf.
Zu trinken und zu essen sind lebensnotwendige Instinkte. Dennoch büßen häufig junge Menschen durch
ein rigides Schlankheitsideal und drastische Erfahrungen, Erlebnisse und Krisen - Übergriffe,
sexuelle Gewalt, Vernachlässigung - das natürliche Verhältnis zum Essen ein. Sie entwickeln
Essstörungen wie Magersucht oder Essbrechsucht. Und sie verlieren parallel dazu oft auch das
Bedürfnis oder den Drang zu trinken. Meist sind sie sich dessen nicht einmal bewusst. Nicht
selten beklagen Menschen mit Essstörungen Schwierigkeiten mit dem Wasserhaushalt, die sich auch
in Wassereinlagerungen, Schwellungen und Ödemen äußern; analysiert man ihr Trinkverhalten,
erscheint es kopfgesteuert und deutlich gestört.
Woran liegt das? Magersüchtige und Ess-Brechsüchtige haben nicht nur Probleme, Hunger als solchen
wahrzunehmen und angemessen auf ihn zu reagieren. Über ihrem Streben nach perfekter Selbstkontrolle
und Selbstbeherrschung haben sie gelernt, körperliche Empfindungen zu ignorieren und haben sich
das Gespür für ihre natürlichen essentiellen Bedürfnisse regelrecht abtrainiert: Sie verdrängen
aufsteigende Hungergefühle, und sie verlieren die Fähigkeit, Durst zu spüren.
Viele messen sich Tagesrationen ab und trinken vorwiegend aus Gründen der Vernunft, weil der
Mensch nun mal täglich 2,5 Liter Flüssigkeit zu sich nehmen sollte. Um Kalorien zu sparen, bevorzugen
viele süßstoffgesüßte Limonaden, ohne dabei zu bedenken, dass der Körper nun Zucker erwartet, deshalb
Insulin ausschüttet und dadurch die gefürchtete Lust auf Süßes provoziert wird. Nicht des Durstes oder
der Lust wegen, sondern »o;aus technischen Gründen« trinken Essbrechsüchtige gezielt viel
während Fressattacken, meist Milch oder Cola, denn sie haben die schmerzhafte Erfahrung gemacht, dass
sich ein zäher Nahrungsbrei kaum herauswürgen lässt. Besonders nach Ess-Brech-Anfällen wäre viel
Trinken wichtig, um die Wasser- und Mineralstoffverluste wieder auszugleichen.
Das gestörte Trinkverhalten erscheint noch bedenklicher, wenn man weiß, dass Essgestörte nicht selten
große Mengen Abführmittel schlucken, um ihr Gewicht bzw. ihre Kalorienbilanz zu manipulieren.
Durch Abführmittelmissbrauch wie durch das künstlich hervorgerufene Erbrechen werden große Mengen
Flüssigkeit ausgeschieden, was Verluste von lebensnotwendigen Salzen (Elektrolyten) zur Folge
haben kann. So kann Kaliummangel u.a. Lähmungserscheinungen an Herz, Darm, Muskulatur und
Zentralnervensystem verursachen.
Magersüchtige konsumieren nicht selten exzessiv Zigaretten und immense Mengen Kaffee, um damit
Hungergefühle zu überdecken und Mahlzeiten möglichst weit hinauszuzögern. Sie tun dies auch, um
ihren Kreislauf zu stimulieren und ihren extrem niedrigen Blutdruck zu heben. Aber auch Kaffee
entwässert, was sich negativ auf Stoffwechsel und den Flüssigkeitshaushalt auswirkt.
Etwa ein Drittel aller erwachsenen Betroffenen wird übrigens auch wegen Alkohol- und
Medikamentenmissbrauch behandelt. Sie setzen Alkohol gezielt ein, um die Gefühle und Ängste, die
sich nicht aushalten können zu »ertränken« und zu dämpfen, aber auch deshalb, weil
sie Hungergefühle überdecken und triste Gedanken vernebeln. Der Übergang vom »auffälligen
Trinkverhalten« oder der »Trinkstörung« zur Sucht ist in dieser Situation fließend.
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