Artikelarchiv von Maja Langsdorff
Der folgende Artikel erschienen am 14. Oktober 2003 in der »Stuttgarter Zeitung«.
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Wenn es dem Magen sauer aufstößt
Sodbrennen ist weit verbreitet / Fließt die Magensäure in die Speiseröhre zurück, entstehen ätzende Schmerzen
Jeder fünfte Deutsche leidet zeitweise unter Sodbrennen. Nicht selten ist daran das »zu gute Leben« Schuld.
Verhaltensänderungen, Medikamente und Operationen können helfen, wenn sich die Beschwerden zur Krankheit auswachsen.
von Maja Langsdorff
Der Magen schluckt viel, aber wenn's zu fett, zu süß, zu scharf, zu viel wird, reagiert er sauer.
Im Kampf gegen opulente und schwerverdauliche Kost produziert er Magensäure satt, die fließt über
einen nicht ausreichend funktionierenden Verschlussmechanismus in die Speiseröhre zurück –
Sodbrennen ist die Folge. Dagegen helfen meist Medikamente, zum Beispiel Mittel, die die
überschüssige Säure binden (Antazida), oder Protonenpumpenhemmer (PPI) und H2-Blocker, die
Magensäureproduktion hemmen bzw. blockieren.
Sodbrennen entsteht, wenn der Verschlussmuskel in der unteren Speiseröhre nicht ausreichend
funktioniert und Magensaft oder saurer Mageninhalt wieder zurückfließt, in der Fachsprache
»Reflux« genannt. Zwei Liter Säure produziert ein gesunder Magen täglich. Diese ist
so aggressiv, dass sie angeblich sogar Rasierklingen »verdauen« kann. Notwenig ist
sie, um die Verdauung zu erleichtern und schädliche Bakterien in Schach zu halten. Sodbrennen
ist ein Hinweis darauf, dass die Balance gestört ist zwischen körpereigenen Substanzen, die die
empfindliche Schleimhaut von Speiseröhre und Magen schützen, und angreifenden Stoffen und Säften
für die Verdauung.
Übersäuern und den Verschlussmechanismus in der Speiseröhre schwächen können nicht nur Fettes und
Süßes, auch Zitrusfrüchte, Tomaten, trockener Wein, Kaffee, Zwiebeln, Schwarz- und Pfefferminztee,
außerdem Rheuma-, Schmerzenmittel und die »Pille«. Der ätzende Rückfluss tritt häufig
auf, wenn sich der Druck im Bauchraum erhöht, etwa bei Übergewicht oder in der Schwangerschaft. Zwischen
40 bis zu 90 Prozent aller Schwangeren leiden darunter – vorübergehend. Nach der Geburt verschwinden
die Beschwerden wieder. Und Georg Kähler, Chirurg und Leiter der Endoskopie-Abteilung der Chirurgischen
Universitätsklinik Mannheim, weiß: »Wenn Übergewichtige abnehmen, geht meistens auch das Sodbrennen
weg«.
Zur Krankheit wird Sodbrennen, wenn die typischen Beschwerden regelmäßig und häufig auftreten. 80 Prozent
der Reflux-Kranken leiden unter nächtlichem Sodbrennen, etwa zwei Drittel haben Tag und Nacht Beschwerden.
Jeder Dritte, der nachts mit Sodbrennen kämpft, findet erst Ruhe, wenn er im Sitzen schläft. Die zurückfließende
Magensäure kann die Speiseröhrenschleimhaut angreifen und schädigen. Bei 90 Prozent ist das nicht der Fall,
doch bei 10 Prozent verändern entzündliche Prozesse die Zellauskleidung in der Speiseröhre (Barrett-Syndrom).
»Schleimhaut, die eigentlich im Magen vorkommen sollte, findet man in der Speiseröhre«, so Barbara
Kraft, Oberärztin der Chirurgischen Abteilung Marienhospital Stuttgart. Das Risiko, dass daraus Krebs entsteht,
ist gering, doch vorhanden. Professor Karl Hermann Fuchs, Chefarzt am Frankfurter Markus-Krankenhauses, rechnet
mit »einem Fall in 200 Patientenjahren oder 0,5 Prozent«. Andere Experten führen eine 10-Prozent-Regel
an: 10 Prozent der Bevölkerung hat Sodbrennen, bei 10 Prozent von diesen entzündet sich dadurch die Speiseröhre,
was bei wiederum zehn Prozent Schleimhautveränderungen bewirkt, die dann bei zehn Prozent zu Krebs führen.
Danach müssen 8000 Menschen fürchten, im Laufe ihres Lebens an Speiseröhrenkrebs zu erkranken.
Tritt Sodbrennen auf, ist die erste Empfehlung von Ärzten: weniger und weniger fett essen, nach dem Abendessen spazieren
gehen, Zigaretten und Alkohol meiden, hochgelagert schlafen, abnehmen. Der Griff zu Tabletten bringt vielen Erleichterung.
Den Reflux zu behandeln, das war »bis etwa 1994 fast ausschließlich die Domäne der Säureblocker«, sagt Professor
Reinhard Bittner, der Ärztliche Direktor des Marienhospitals Stuttgart. Heute wird jedoch immer häufiger operiert.
Operationen kommen in Frage, wenn Medikamente nicht vertragen werden bzw. nicht wirken oder der Patient nicht lebenslang Pillen
schlucken will. Denn Säureblocker blockieren nur die Säureproduktion; vom Magen kann aber auch Galleflüssigkeit zurückfließen.
»Wenn ich medikamentös nur den Rückfluss von Magensäure verhindere, hab ich das Problem des relativ weiten und ungenügenden
Schließmuskels nicht gelöst«, sagt Barbara Kraft, »Galle kann weiter zurückfließen. Chirurgen sagen: 'Das Feuer brennt,
aber es ist unsichtbar'«.
Hier kann man operativ Abhilfe schaffen. Seit 1956 gibt es das Verfahren der so genannten Fundoplicatio (lat. fundo: Magenboden und
plicare: zusammenfalten, wickeln). Dabei wird der obere Anteil des Magens wie eine Manschette ganz oder teilweise um die Speiseröhre
herumgeschlungen und diese so verstärkt. Die Kunst dabei ist, die Manschette so exakt zu kalibrieren, dass nichts zurückfließen kann.
Die Manschette darf aber auch nicht zu eng sein, sonst drohen Schluckbeschwerden. Bis vor wenigen Jahren erfolgte die Fundoplicatio über
einen relativ langen und großen Schnitt. Heute wird sie meist minimal-invasiv über eine Bauchhöhlenspiegelung vorgenommen, für die nur
vier bis fünf kleine Schnitte nötig sind, der größte davon einen Zentimeter lang für die Kamera mit Winkeloptik. Die Zahl der Eingriffe
hat sich seit Einführung der schonenden neuen Verfahren stark erhöht, im Marienhospital etwa von 5 auf 50 im Jahr. »Es ist eine
elegante Methode, nur kleiner Eingriff, vergleichbar mit Gallenoperation«, sagt Barbara Kraft. »Die Patienten sind am nächsten
Tag wieder munter und laufen im Flur herum – bei einem großen Bauchschnitt hat man sich's schon überlegt.«
Ganz neu sind Verfahren, bei denen praktisch von innen über flexible Endoskope und teilweise sogar ambulant »reapariert« wird.
»Dabei können entweder einengende Nähte im Bereich des Überganges zwischen Magen und Speiseröhre angelegt oder dieser durch Einspritzen
eines Kunststoffes eingeengt werden«, erklärt Georg Kähler. Er praktiziert diese Methode und empfiehlt sie Patienten, »bei denen
der Übergang zwischen Magen und Speiseröhre nur geringfügig aufgeweitet ist, die aber trotzdem sehr starke Beschwerden haben«. Die etwa
2500 Euro dafür übernehmen die Kassen meist nicht, und es gibt auch noch keine gesicherte Erkenntnis, wie effektiv diese Methode ist. Konventionelle
Operationen dagegen, über Bauchhöhlenspiegelung ausgeführt, versprechen dauerhafte Erfolge.
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