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Artikelarchiv von Maja Langsdorff
Der folgende Artikel erschien am 27. Mai 2008 in leicht veränderter Form und ohne Interview in der »Stuttgarter Zeitung«. Die Grafik zum richtigen Sitzen am Monitor darf mit freundlicher Genehmigung der »Stuttgarter Zeitung« zur Veranschaulichung auf diesen Seiten verwendet werden.

Artikel zum Thema:

»(K)ein Kreuz mit dem Kreuz«

Service:

Was tun bei Rückenbeschwerden?   Tipps und Links

Zur Person:

»Macht keinen Spaß, aber glücklich«   Interview mit Werner Kieser

(K)ein Kreuz mit dem Kreuz

Schreibtischarbeit macht nicht krank, aber geht häufig mit Rückenschmerzen einher / Bewegung schafft Abhilfe

Der Nacken steif, die Schulterpartie verspannt, tief im Kreuz eine bleierne Müdigkeit: Am Ende eines langen Arbeitstages am PC fühlen sich viele wie gerädert. Dabei gilt Bildschirmarbeit als Tätigkeit, die den Rücken kaum strapaziert – im scheinbaren Widerspruch zu den gefühlten Beschwerden.

von Maja Langsdorff

Die Verwaltungsberufsgenossenschaft Hamburg (VBG) stuft Bildschirmarbeitsplätze als »belastungsarm« ein. Denn anders als ein Möbelpacker, ein Schweißer, eine Altenpflegerin oder ein Maurer muss der »Schreibtischtäter« weder schwer heben noch schleppen oder sich beim Arbeiten verdrehen. So gesehen wird die Wirbelsäule vergleichsweise gering belastet. «Sitzen im Büro macht den Rücken nicht krank«, stellt Jens Petersen, leitender Arbeitsmediziner der VBG, klar. »Beschwerden sind deshalb verbreitet, weil wir ‚Sitztiere’ geworden sind und an Bewegungsmangel leiden.« Ist dazu noch der Arbeitsplatz ungenügend auf die menschliche Anatomie abgestimmt und die Arbeitsabläufe sind schlecht organisiert, handelt man sich fix Beschwerden ein – vor allem, wenn die Wirbelsäule durch Unfälle, schlechte Körperhaltung oder Verschleiß vorgeschädigt ist.

»Der Mensch«, stimmt Wolfgang Panter zu, »ist nicht dazu gebaut, acht Stunden im Büro zu sitzen«. Der Präsident des Verbands deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) erinnert an die Evolutionsgeschichte, an die Jäger und Sammler, die ständig in Bewegung waren. »Eine ausschließlich sitzende Tätigkeit bedarf einfach des Ausgleichs – ich muss etwas für meine Wirbelsäule tun.« Regelmäßiger Sport wie Schwimmen, Radfahren oder Laufen wäre optimal. Doch Effekte erzielt man nach Petersen schon im Kleinen, mit »bewegen, bewegen! Jeder Zentimeter bringt’s.« Aufstehen beim Telefonieren, zum Kopierer gehen, Treppen steigen, und: dynamisch sitzen. »Es ist fast egal, welche Haltung man einnimmt – wichtiger ist, man verlässt sie bald wieder. Nach vorne flegeln, nach hinten lehnen – der Wechsel ist der Schlüssel zur Beschwerdefreiheit.«

Zu wenig Bewegung schadet der Wirbelsäule. Meist schaffen erst Beschwerden ein Bewusstsein dafür, dass sie eine geniale, aber empfindliche Konstruktion ist. Es kann lange gut gehen, doch irgendwann rächt sie sich für tausend kleine Alltagssünden: falsch sitzen, stehen, heben, tragen, einseitige Belastung, Zwangshaltungen, schwere körperliche Arbeit. Ist das »Stützkorsett« der Wirbelsäule, die Muskulatur, unzureichend, provoziert das schmerzhafte Rückmeldungen. »Die Muskulatur muss gepflegt werden, so wie ich meine Zähne pflege«, mahnt Panter. Und Werner Kieser, einstmals Boxer und Gründer der mittlerweile in acht Ländern vertretenen Kieser Trainings-Studios, bringt es mit einem Buchtitel auf die griffige Formel: »Ein starker Rücken kennt keinen Schmerz«.

Grafik zum richtigen Sitzen Rückenschmerzen gelten als Zivilisationskrankheit Nummer eins, sind aber keine Spezialität von Bildschirmarbeitsplätzen. Fast keine Berufsgruppen bleibt verschont; interessanterweise finden sich die höchsten Erkrankungsraten in der Landwirtschaft und im Baugewerbe. Die unspezifische Diagnose »Rückenschmerzen« steht auf einem Drittel aller Krankmeldungen und ist der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit. Rückenerkrankungen sind für jeden fünften Fall von Berufsunfähigkeit verantwortlich. Vom Leid des einzelnen abgesehen, ist das eine teuere Sache. Auf 35 Milliarden Euro schätzt man die jährlichen Folgekosten durch Fehlzeiten und Behandlungen.

Die konkrete Ursache der Rückenschmerzen lässt sich vielfach nicht feststellen. Die Risiken sind bekannt und liegen in Über- und Fehlbelastung, ergonomischen Mankos, aber auch im sozialen und psychologischen Bereich. Begünstigt und ausgelöst werden Rückenprobleme, wenn die tief liegende Rücken- und Nackenmuskulatur zu schwach ist, um die Wirbelsäule ausreichend zu stabilisieren und zu schützen. Rückenschmerzen können in einen Teufelskreis führen: Man nimmt eine Schonhaltung ein, die Muskulatur verspannt sich und verhärtet, die Schmerzen werden stärker. Doch kaum ein anderes Leiden ist durch aktives Mitwirken so günstig zu beeinflussen. »Stärkt man die Rückenmuskulatur, lassen sich die Beschwerden in acht von zehn Fällen lindern – oft bis zur vollständigen Schmerzfreiheit«, sagt Kieser.

Besser wäre natürlich, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Prävention, so Wolfgang Panter, verlangt aber nach einem »Gesamtpaket« und fordert neben Ergonomie und Eigenverantwortung auch innovative Modelle zur Gesundheitsförderung im Betrieb. Der VDBW wünscht sich für mittelständische Betriebe eine stärkere Vernetzung der vorhandenen Strukturen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit etwa von Arbeitsmedizinern, Orthopäden, Physiotherapeuten, Fitnesscentern: »Der Orthopäde«, so Panter, »sieht den Patienten end of the pipe – was im Vorfeld war, kann er nicht bewerten«. Und die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (OSHA), unterstreicht: »Eine Kombination aus medizinischer Behandlung, Rehabilitationsprogrammen und Maßnahmen am Arbeitsplatz ist wirkungsvoller als die einzelnen Elemente für sich genommen«.

Gesundheitsvorsorge wird nicht zuletzt wegen der demographischen Entwicklung für Arbeitgeber immer wichtiger. Große Unternehmen haben längst erkannt, dass gute Arbeitsbedingungen die Gesundheit fördern – und sich dann auch betriebswirtschaftlich rechnen. Die Audi AG etwa, die nach Worten ihres Betriebsarztes Horst Mann »auf ein durchgängiges und gelebtes Konzept zur ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung und eine sehr aktive Gesundheitsförderung« setzt, vermeldet für 2007 stolz einen »Gesundheitsstand« von 97 Prozent – das ist ein dreiviertel Prozent besser als der Krankenstand im Bundesdurchschnitt.

Macht keinen Spaß, aber glücklich

Herr Kieser, Sie sind ein Pionier des gesundheitsorientierten Krafttrainings in Europa. 250.000 Menschen in Deutschland trainieren in Ihren Studios. Sie machen sich für starke Rücken stark. Haben Sie selbst heut schon etwas für Ihr Kreuz getan?

Ich muss nichts tun. Mein Kreuz ist ja stark. Ich trainiere es zweimal die Woche im Kieser-Studio. Zu Hause habe ich keine Geräte.

Vor fünf Jahrzehnten tauschten Sie wegen einer Rippfellquetschung die Boxhandschuhe gegen Hanteln, statt sich auf ärztlichen Rat zu schonen. Sie wollten schneller wieder in den Ring kommen, und es klappte. Warum?

Werner Kieser

Der Einstieg war in der Tat so. Ich wusste nur damals nicht warum. Heilungsprozesse sind Aufbauprozesse. Und die werden beschleunigt durch das Krafttraining – darum werden Sie schneller gesund, wenn Sie trainieren oder trainiert sind. Dieser Effekt stellte sich bei mir ein - seinerzeit zum Erstaunen von Arzt und Trainer.

So kamen Sie vom Boxen zum Krafttraining. Ihr erstes Trainingsstudio eröffneten Sie, lang vorm Fitnessboom, 1966 in Zürich. Hatte damals überhaupt irgend jemand, außer Ihnen selbst, Interesse daran?

Ja, vor allem Spitzensportler. Denn es sprach sich langsam herum, dass Kraft im Sport eine gute Sache ist. Den therapeutischen Ansatz hatte ich anfangs nicht so sehr im Fokus. Mir selbst hat es unglaublich gut getan, und es hat auch meine sportliche Leistungsfähigkeit enorm verbessert – diesen Doppeleffekt fand ich wunderbar. Das wollte ich weitergeben.

Ihre Klientel sieht heute etwas anders aus: Durchschnittsalter 46 Jahre, gesundheitsbewusst.

Durch die Fitnesswelle wurde ich mit einem anderen Typus konfrontiert, mit Leuten, die eigentlich unsportlich sind. Und ich merkte, wie ungeheuer die profitieren, im Grunde mehr als die Sportler.

Ihre Studios muten vergleichsweise spartanisch an, Edelstahlduschen und Gerätepark, keine Fitnessdrinks, keine Wellness, …

… keine Solarien, Sauna und dergleichen. An-fangs meinte ich, da mithalten zu müssen. Dann merkte ich, jede Ausweichmöglichkeit mindert den Trainingseffekt. Zum Schluss trainieren die Leute nicht mehr und meinen, sie hätten was Gutes getan, wenn sie sich in die Sauna legen.

Sie bieten also Schinderei pur?

Wir bieten wenig, das Wenige aber gründlich. Andersherum: Wir erzählen den Leuten nicht, was sie alles machen sollen. Wir zeigen Ihnen, wie wenig Sie brauchen. Das Wenige ist nicht nur eitel Freude, das ist anstrengend. Wir sind spezialisiert auf den produktivsten Teil von Training überhaupt, im Sinne von Schopenhauer: Kraft ist nicht alles, aber ohne Kraft ist alles nichts. Das Training ist nicht sehr aufregend. Wer es ein Jahr durchsteht, bleibt dabei. Kiesertraining ist lebenslänglich.

Das heißt: Sport bis zum Grab?

Es ist eine Gewohnheit, und es ist eine Art Hygienemaßnahme für den Körper, kein Sport. Das ist wie Zahnsteinentfernung: nicht lustig, aber absolut notwendig und sinnvoll. Kiesertraining lebt einfach von der Einsicht in die Notwendigkeit – es macht keinen Spaß, aber es macht glücklich.

Was tun bei Rückenbeschwerden?

Ein Leben ohne Rückenschmerzen gründet auf verschiedenen Pfeilern. Entscheidend sind:

  • rückengerechte Bewegungen,
  • gute Rückenmuskulatur und
  • optimale Arbeitsbedingungen.

Sich rückenschonend zu bewegen, lehren Rückenschulkurse, etwa bei Krankenkassen, im Betrieb oder in Reha-Einrichtungen. Charmant und einprägsam sind die kleinen Filmclips zum Umgang mit Lasten auf der Website der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz.

Neben Bewegung und einem gesunden Körpergewicht sind Ausdauersport und etwas Kräftigungstraining empfehlenswert – schon zweimal 30 Minuten pro Woche können genügen. Wichtig ist eine gründliche orthopädische Eingangsuntersuchung vor dem Rückentraining. Die Trainer im Studio sollten gut geschult sein und – damit die richtigen Muskeln gestärkt und die Übungen korrekt durchgeführt werden – das individuelle Trainingsprogramm kontinuierlich kontrollieren. Ideal ist es, wenn im Fitnessstudio ein Arzt oder Krankengymnast begleitend zur Verfügung steht.

Wie ein guter Bildschirmarbeitsplatz aussieht, zeigt die Grafik im Haupttext. Auf der Internetseite der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gibt es dazu weitere detaillierte Infos.

»Mein Schweinehund und ich« heißt ein Online-Programm der Verwaltungsberufsgenossenschaft. Es liefert umfassende Infos zur Rückenprävention, von Anatomie über Arbeitsplatzcheck bis zu Stressbremsen und Sportempfehlungen.

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