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Artikelarchiv von Maja Langsdorff
Der folgende Artikel samt Kommentar erschien am 20. Januar 2004 in der »Stuttgarter Zeitung«. Die Illustration zeigt eine Endoprothesenform mit normaler Schaftlänge und wurde mir freundlicherweise von der Sulzer Orthopedics GmbH zur Verfügung gestellt.

Artikel zum Thema:

»Rückzug der Roboter aus dem OP-Saal«

Kommentar:

»Überholt«


Mehr zu Hüftgelenksoperationen auf meiner Seite: »Wenn Laufen zur Qual wird«


Rückzug der Roboter aus dem OP-Saal

Bei Hüftgelenksoperationen werden immer seltener Robotersysteme eingesetzt / Klagen über Muskel- und Nervenschädigungen nach Hüft-OPs häufen sich

Niederländische Orthopäden warnten im Januar 2004 vor Hüftoperationen in Deutschland, da durch den Einsatz von Operationsrobotern irreversible Schäden entstehen könnten. Patienten, denen eine Hüftoperation bevorsteht, sind verunsichert - zu unrecht, denn die Roboter sind auf dem Rückzug.

von Maja Langsdorff

HüftprotheseJahr für Jahr erhalten in Deutschland etwa 180.000 Patienten ein künstliches Hüftgelenk. Die Implantation einer Hüftprothese gehört zu den häufigsten Operationen hierzulande. Erste Versuche, das schmerzende, weil verschlissene Gelenk durch ein künstliches zu ersetzen, liegen hundert Jahre zurück; nennenswerte Erfolge erzielte man erst Anfang der sechziger Jahre. Inzwischen hat die Computertechnologie in die OP-Säle Einzug gehalten. In der computerassistierten Chirurgie erleichtern zum einen Navigationssysteme dem Operateur die Arbeit; zum anderen können Roboter selbst Teile der Operation übernehmen und sensible Schritte ausführen. Der Operateur steht quasi beobachtend und eingriffsbereit daneben.

Bei Hüftoperationen mit dem Roboter programmiert der Arzt diesen nach computertomographischen Aufnahmen und wendet die Robotertechnik an, um Präzisionsfräsungen im Oberschenkelschaft durchzuführen. Der Roboter fräst einen Hohlraum in den Oberschenkelknochen, in den der Chirurg dann die Prothese einpasst. Operationsroboter wie Robodoc und Caspar (Computer Assisted Surgical Planning und Robotics) arbeiten auf den Zehntel Millimeter genau, sind handwerklicher Arbeit überlegen, zittern und ermüden nicht. Das neue Gelenk sitzt besser. Je präziser die Einpassung, desto besser der Sitz, sagen die Befürworter. Doch ob die Prothese optimal hält, hängt wesentlich auch davon ab, wie sie einwächst.

1992 wurde die erste Robodoc-Operation beim Menschen angewendet. Seither sind in Deutschland etwa 15.800 Robodoc- und Caspar-Operationen durchgeführt worden. Doch die Euphorie der Anfangsjahre ist gewichen. Von an die 70 Geräten in Deutschland sind wohl nur noch 12 in Betrieb - die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik in Frankfurt ist einer der (noch aktiven) Hauptanwender der Robodoc-Methode. Dass Kollege Roboter ansonsten immer seltener eingesetzt wird, hat gute Gründe.

Operationen mit Robotersystemen dauern bis zu dreimal so lange wie konventionelle Operationen, es muss mehr Narkosemittel verabreicht werden, das Infektionsrisiko steigt. Die Operationswunde ist größer und der Blutverlust höher, ebenso die Komplikationsrate. Es werden häufiger Muskeln, Blutgefäße und Nerven verletzt, und die Patienten klagen öfter über Schmerzen unmittelbar nach der Operation. Niederländische Orthopäden haben kürzlich ihre Patienten vor Hüftoperationen in Deutschland gewarnt, da durch den Einsatz von Robotern irreparable Schäden an Muskeln entstünden.

Abgesehen davon werden die Patienten durch das vorher notwendige Computertomogramm in Dünnschichttechnik einer sehr hohen Strahlenbelastung ausgesetzt. Und: der Roboter kann nur Rundungen fräsen, sagt der erfahrene Heidelberger Chirurg und Unfallchirurg Jochen Feil. »Man kann also nicht alle Prothesenmodelle implantieren. Die kantigen scheiden aus, und das sind oft gerade die, die eine sehr hohe biomechanische Stabilität haben«.

Klagen gegen Krankenhäuser, die mit Robotern operieren, häufen sich in jüngster Vergangenheit. Der Freiburger Anwalt Jochen Grund vertritt allein 261 Mandanten mit schwer wiegenden Muskel- und Nervenschädigungen nach Hüft-OPs mit dem Roboter. Sie leiden unter starken Schmerzen und können sich nur noch hinkend oder an Krücken fortbewegen. Grund rechnet die Zahl der bundesweit geschädigten Patienten vorsichtig auf »mehr als 1000, wenn nicht 2000« hoch.

In den USA laufen Klagevorbereitungen, und hierzulande recherchieren die großen Krankenkassen in ihren Unterlagen sämtliche Robodoc-Fälle, um herauszufinden, wo sie nachträglich noch Zusatzleistungen erbringen mussten, wo also Rehabilitation und Nachoperationen nötig, wo teuere Schmerzmittel verordnet wurden. Der Freiburger Anwalt geht davon aus, dass früher oder später »die Kassen diese Operationen nicht mehr finanzieren« werden.

Kurt Falk, Chirurg am Robert-Bosch-Krankenhaus, das übrigens keine Operationsroboter beschäftigt, hält das, was Kritiker »Nintendo-Chirurgie« nennen, ohnehin für den falschen Ansatz. Er verweist auf das Wolffsche Gesetz, nach dem der Knochen dort Masse anbaut, wo er mechanisch - durch Muskelkraft - belastet wird, und dort abbaut, wo er nicht belastet wird. »Deshalb hängt auch die zementfreie Fixierung gar nicht so sehr an der genauen Einpassung«. Grundsätzlich kann die Prothese nämlich mit oder ohne Zement eingepasst werden. Falk sagt, der Knochen suche sich quasi Orte aus, wo Kraftspitzen eingeleitet werden, und da verstärke er sich von allein.

»Das Wolffsche Gesetz umgehe ich auch mit der superexakten Einpassung nicht«. Das würde nichts anderes heißen als: Die - auch handwerkliche - Erfahrung des Chirurgen gepaart mit den Selbstheilungskräften des Patienten ersetzen den Roboter im Operationssaal. Oder wie Feil sagt: »Robodoc ist ein modifizierter Industrieroboter aus der Autoherstellung und sollte seiner Grundkonzeption entsprechend zur Bearbeitung von totem Metall und nicht an vitaler menschliche Materie eingesetzt werden.«

 
  

Überholt

Ein gängiger Spruch unter Orthopäden und Unfallchirurgen lautet: Es gibt zwei Arten von Hinken, das Duchenne-Hinken und das Trendelenburg-Hinken, so benannt nach zwei lange verblichenen Medizinern. Doch inzwischen ist in Gesprächen unter Ärzten schon mal das böse Wort vom »Frankfurter Hinken« hören. Der Zynismus zielt auf eines der großen Zentren, in denen nach wie vor Kollege Roboter bei Hüftgelenksoperationen fräsend im Einsatz ist.

Selbstständig arbeitende Robotersysteme im Operationssaal sind nicht erst in Verruf geraten, seit die niederländische Orthopädenvereinigung NVO ihre Patienten davor warnte. Schon lange ist bekannt, dass den Vorteilen hoch präziser Robotertechnik bei Hüftoperationen eine Reihe entscheidender Nachteile entgegenstehen. Wenige Jahre, nachdem sie ihn angeschafft hatten, musterten deshalb viele Kliniken den teuren Automaten wieder aus. Erfahrene Chirurgen wie Christian Trepte, der ärztliche Leiter der Stuttgarter Baumann-Klinik, geben unumwunden zu, sie würden niemandem empfehlen, sich vom Roboter operieren zu lassen - nicht, weil sie grundsätzlich gegen Innovationen sind, sondern unter anderem, weil diese Technik viel Erfahrung voraussetzt. Praktiker sagen zynisch: Erfahrene Operateure brauchen keinen Assistenten, der rücksichtslos weiterfräst, wenn seine Koordinaten nicht mehr stimmen. Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Die Roboter lassen sich sehr präzise programmieren, und auch menschliche Operateure machen Fehler. Doch wo der Mensch während der Arbeit auf kleinste Veränderungen reagieren kann, arbeitet der Roboter stur weiter, wenn ihn nicht der wachsame Arzt bremst. Moderne Medizin ist ohne Hochtechnologie nicht denkbar. Das sollte man nicht vergessen. Im konkreten Fall der Hüftoperation aber haben Ärzte offenbar auf eine nicht ausgereifte Technik gesetzt. Das haben Patienten schmerzhaft erfahren müssen. Doch immerhin: die meisten Kliniken haben die Konsequenz gezogen.

  

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