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Artikelarchiv von Maja Langsdorff
Der folgende Artikel erschien in leicht gekürzter Form am 10. Juli 2007 in der »Stuttgarter Zeitung«.

Artikel zum Thema:

»Krank zur Arbeit schadet allen«

Service:

Stichwort: Gesundheitsmanagement

Krank zur Arbeit schadet allen

Der »gelbe Schein« hat keine Konjunktur mehr / Wer sich erst mal auskuriert, verursacht weniger Kosten als der, der krank weiterarbeitet

Weil sie um den Job fürchten oder meinen, unentbehrlich zu sein, treiben sich viele Menschen selbst zur Arbeit, obwohl sie krank sind. Sie verursachen damit nicht nur höhere Kosten, als wenn sie zu Hause bleiben würden. Sie schaden auch ihrer Gesundheit.

von Maja Langsdorff

Wärmeflasche »Präsentismus« (von »praesens«, lateinisch für anwesend) nennen Wissenschaftler ein Phänomen, das in Deutschland bisher allenfalls in den Wirtschaftsnachrichten Erwähnung findet: Mitarbeiter erscheinen trotz Krankheit oder starker emotionaler Belastung am Arbeitsplatz. Sie zwingen sich zum Arbeiten, obwohl sie dazu eigentlich nicht in der Lage sind. Motiv dafür ist nicht selten die Angst, den Job zu verlieren. Solcher chronischer Stress macht an sich schon krank, wirkt sich aufs Herz-Kreislauf-System aus und schwächt das Immunsystem - ein Teufelskreis. Und die ständige Sorge um den Arbeitsplatz macht auch psychisch anfälliger. Bei Firmen, die Stellen abbauen, klagt die Belegschaft überdurchschnittlich häufig über Kopfschmerzen, Erschöpfung und Schlafstörungen, wie aus einem Fehlzeitenreport des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hervorgeht. Das Bangen um den Job hat demnach einen unmittelbaren Einfluss auf die körperliche und seelische Gesundheit.

Dennoch ist der Krankenstand heute der niedrigste seit Einführung der Lohnfortzahlung im Jahr 1970. Gelbe Scheine werden immer seltener vorgelegt. Im vergangenen Jahrzehnt ist die Zahl der Krankenstände um ein Fünftel zurückgegangen. Nur noch etwa drei Prozent der Arbeitszeit fallen wegen Krankheit aus. 1991 meldeten sich Beschäftigte in Deutschland durchschnittlich 25 Tage im Jahr krank, 2006 nur noch 7 Tage.

Das jedoch spiegelt nicht den realen Gesundheitszustand wider. »Das Sinken der Fehlzeiten bedeutet nicht: Es geht uns immer besser«, sagt der Gesundheitsforscher Professor Bernhard Badura von der Universität Bielefeld. Das Gegenteil sei der Fall: Psychische Beeinträchtigungen, vor allem Angststörungen und Depressionen, haben in den letzten zehn Jahren drastisch zugenommen. »Die Globalisierung hat das Stressniveau erhöht, über alle Hierarchieebenen hinweg, bei Männern und Frauen gleichermaßen«, erklärt er. Die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) ermittelte, dass neun von zehn Beschäftigten auch mit leichten Erkrankungen antreten, um sich dem Druck durch den Arbeitgeber - Stichwort: Krankenrückkehrgespräche - zu entziehen. Drei Viertel der Beschäftigten, so das WidO, verzichten aus Angst vor Entlassungen möglichst auf Krankmeldungen. Zwei Drittel fürchten berufliche Nachteile, wenn sie sich krank melden; ein Drittel arbeitet weiter, auch wenn der Arzt dringend davon abrät.

Was sie offenbar nicht wissen: Sie tun damit weder sich selbst, noch dem Arbeitgeber einen Gefallen. Schleppen sich angeschlagene Mitarbeiter zur Arbeit, kommt das nach Angaben des Journal of the American Medical Association (JAMA) Arbeitgeber teurer zu stehen, als würden sie sich in Ruhe auskurieren. 120 Milliarden Euro kostet die Präsenz ohne Power deutsche Unternehmen jährlich, wenn man die Zahlen des JAMA auf deutsche Verhältnisse umrechnet - die Kosten für Fehlzeiten liegen bei »nur« 40 Milliarden Euro. Denn wer krank und mit Schmerzen weiterarbeitet, ist nicht so belastbar, weniger konzentriert, macht leichter Fehler und riskiert Unfälle. Die Produktivität und die Qualität der Arbeit sinkt, von den gesundheitlichen Folgen ganz abgesehen.

»Der Worst Case ist der, dass man in einen Circulus vitiosus hineingerät«, warnt Badura. »Man hat das Gefühl, nicht mehr das zu leisten, was man mal geleistet hat und arbeitet umso mehr.« Gefährlich wird es, wenn man nicht den Zusammenhang zwischen Leistungsabfall und Überforderung erkenne. »Zieht man dann die Schraube weiter an, kann das dazu führen, dass man akuten Schaden nimmt oder psychisch zusammenbricht.« Besonders team- und leistungsorientierte Menschen mit hoher Qualifikation neigen dazu, sich zu überfordern. Sie banalisieren gesundheitliche Beschwerden wie Rücken-, Hals- oder Magenschmerzen, und glauben, diese rechtfertigten nicht das Fernbleiben von der Arbeit.

Werden Warnsignale wie Schlafstörungen, steigende Nervosität und Reizbarkeit ignoriert, verschlechtert sich rasch das Befinden, die Leistungsfähigkeit sackt ab. „Man muss dann immer mehr Energie aufwenden, um die gleiche Arbeit gut zu leisten“, sagt Badura. »Das setzt einen Verschleißprozess in Gang, der schlimmstenfalls in akutem Herzversagen enden kann.« Gegen den Körper zu arbeiten, setzt die Widerstandskraft herab - man wird schneller krank, ist dauernd müde und lustlos. Die seelische Anspannung schlägt sich in starken Rückenschmerzen körperlich nieder. Rackern bis zum Umfallen, damit ist niemandem gedient, meint Badura: »Man muss lernen, mit seinem eigenen Körper und seiner eigenen Seele besser umzugehen. Man muss lernen, auf die Symptome zu hören, die der Körper oder die Seele einem senden.«

Wünschenswert wäre auch ein gutes Gesundheitsmanagement im Betrieb, die Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte, um die Folgen falsch verstandenen Pflichtbewusstseins und Engagements zu verhüten und nebenbei die Bilanzen aufzupolieren. Denn ob das Klima im Betrieb stimmt, zeigt sich nicht zuletzt am Krankenstand. Badura: »Qualität der Führung, Qualität der sozialen Beziehungen und Unternehmenskultur haben einen ganz maßgeblichen Einfluss nicht nur auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten, sondern auch auf das Betriebsergebnis.«

Stichwort: Gesundheitsmanagement

Demographischer Wandel, Forderung nach einer verlängerten Lebensarbeitszeit, »Präsentismus« – das Thema des Gesundheitsmanagements in Betrieben gewinnt an Relevanz. Gesundheitswissenschaftler wie Bernhard Badura von der Universität Bielefeld mahnen eine Unternehmenskultur an, »die sehr stark auf die Mitarbeiter zielt, nicht nur auf die Kunden und die Shareholder. Motto: gesunde Arbeit in gesunden Organisationen.« Gesunde, motivierte Mitarbeiter sind das Kapital der Unternehmen.

Innovative Unternehmen bieten Seminare zur Stressbewältigung, zu Zeit- und Gesundheitsmanagement an, um den Mitarbeitern bei der Bewältigung ihrer Probleme zu helfen. Manche Unternehmen laden auch gezielt externe Fachleute zur Mitarbeiterberatung, etwa zu Gesundheitsthemen, ein. Oder sie nutzen die Möglichkeit des »externen Coaching«, bei dem Mitarbeiter einige Stunden mit einer neutralen Person an Problemen arbeiten können, um diese besser zu bewältigen.

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