Artikelarchiv von Maja Langsdorff
Der folgende Artikel erschien in leicht gekürzter Fassung und ohne Kasten am 2. März 2004 in der »Stuttgarter Zeitung«.
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Gesunde Kinder oder Designerbabys?
An der Präimplantationsdiagnostik scheiden sich die Geister - Späte Abtreibung in der Kritik
Die Chance, über eine künstliche Befruchtung zum Wunschkind zu kommen, sind nicht allzu hoch: nur bei
15 Prozent der Frauen klappt es. Durch eine Vorselektion der Embryonen soll sich die Erfolgsrate erhöhen
lassen – doch das wirft massive ethische Probleme auf.
von Maja Langsdorff
Gut 50.000 Frauen setzen jedes Jahr ihre letzte Hoffnung auf ein eigenes Kind in eines der mehr als hundert
Zentren für künstliche Befruchtungen in Deutschland. Sie unterziehen sich körperlichen und seelischen Strapazen –
ohne eine Garantie auf Erfolg. Die künstliche Befruchtung wird in der Literatur als »das stressigste
Lebensereignis gleich nach dem Tod eines Familienmitglieds eingestuft&ölaqo;, weiß Annegret Braun von der
Beratungsstelle zu Pränatalen Untersuchungen und Aufklärung des Diakonischen Werks Württemberg.
Mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) könnten, so sagen ihre Befürworter, die Chancen der künstlichen
Befruchtung gesteigert werden; außerdem könnte man erbgutgeschädigten Paaren zu gesundem Nachwuchs verhelfen.
Die PID ist ein Selektionsverfahren, bei dem Embryonen im 8-Zellen-Stadium auf Chromosomenfehler und Genschäden
untersucht und bei Defekten aussortiert werden. Möglich ist dies nur an Embryonen, die außerhalb des Mutterleibs
gezeugt wurden, also im Labor über eine In-vitro-Fertilisation (IvF).
Fortpflanzungsmediziner argumentieren, sie würden letztlich im Reagenzglas nur aussortieren, was die Natur
ohnehin aussortiert hätte. Im Klartext: Behinderte Kinder würden dann gar nicht erst das Licht der Welt erblicken.
Oder im Umkehrschluss: Paaren, die ein hohes Risiko tragen, eine Erbkrankheit an ihr Kind weiterzugeben, kann so
ermöglicht werden, ein Kind ohne Behinderung zu bekommen. Doch eine Garantie auf ein vollkommen gesundes Kind gebe
es nicht, auch nicht mit PID, erklärte Pro Familia schon 2002. Denn nicht alle genetischen Erkrankungen können
ausgetestet werden, und nur ein kleiner Teil der Behinderungen sind erblich bedingt.
Wenn aber vorgeburtliche Untersuchungen und PID verhindern können, dass erbgutgeschädigte Kinder zur Welt gebracht
werden, lässt sich kaum zumutbares Leid von Eltern abwenden. Gleichzeitig wächst aber der soziale Druck auf schwangere
Frauen, nur ja keine Untersuchung zu versäumen, warnen Frauenverbände. An die Stelle der »guten Hoffnung«
trete die diagnostische Überwachung, und Frauen seien in der Verantwortung für genetisch gut ausgestatteten Nachwuchs.
Gebären sie dann dennoch ein krankes Kind, stellt sich die Schuldfrage.
Behindertenverbände fürchten, gesellschaftliche Zwänge zu einer »qualitativen Familienplanung« könnten die
Sichtweise von Behinderung verändern und mit einer Stigmatisierung von Behinderten bzw. deren Eltern einher gehen. Und
schließlich ermöglicht PID nicht nur den Ausschluss von Krankheiten. Die Befunde könnten auch Entscheidungskriterien dafür
sein, ob ein Kind mit bestimmten Eigenschaften erwünscht ist oder nicht. Der Begriff der Selektion weckt gerade in
Deutschland böse Erinnerungen.
Das Selektieren im Vorfeld aber kann Frauen vor einem späten Schwangerschaftsabbruch und seinen möglichen körperlichen und
seelischen Folgen bewahren; manche schwere Behinderung wird nämlich erst in einem späten Stadium der Schwangerschaft entdeckt.
Abgesehen von der ethischen Problematik ist nicht untersucht, was Frauen als belastender empfinden: eine
Abtreibung oder jahrelange Versuche, über künstliche Befruchtung schwanger zu werden.
Genforscher klagen, Embryonen seien im Reagenzglas besser geschützt als im Mutterleib. Tatsächlich ist nach der Reform des
Paragrafen 218 heute eine Abtreibung nach medizinischer Indikation unbefristet – bis zum Zeitpunkt der Geburt – möglich und
bleibt straffrei. Das »Verwerfen« (Fachjargon) von Embryonen dagegen ist nach deutschem Recht Tötung menschlichen
Lebens, denn das beginnt laut Gesetz mit der Kernverschmelzung. Dabei wären Wissenschaftler hochinteressiert an diesem
»Material«. Schließlich erhoffen sie sich über die Stammzellenforschung an Ersatzgewebe für Nerven, Knorpel, Muskeln
zu kommen und so irgendwann unheilbare Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer heilen zu können. Rund sieben Millionen Eizellen
würde man allein benötigen, um zehn Prozent der Alzheimerkranken in Deutschland zu heilen, hat Sabine Riewenherm vom Berliner
Gen-ethischen Netzwerk (GeN) recherchiert. Offen ist, woher die alle kommen sollen.
Der Nationale Ethikrat sieht einen deutlichen ethischen Unterschied zwischen der »Verwerfung« von Embryonen nach einer
PID und einer Abtreibung nach einer Pränataldiagnostik (PND), also einer vorgeburtlicher Untersuchung im Mutterleib, die
Ausgangspunkt ist für zwei bis vier Prozent aller registrierten Abtreibungen. Bei der Selektion der Embryonen im Labor bestehe
keine Einheit zwischen Mutter und Kind, es werde nicht für oder gegen ein Kind entschieden. Beim Schwangerschaftsabbruch jedoch
bestehe ein Spannungsverhältnis zwischen zwei geschützten Leben, die in besonderer Weise miteinander verbunden sind.
Während die Präimplantationsdiagnostik, die in England als frühes Diagnoseverfahren bei schweren Erbkrankheiten entwickelt wurde,
in Deutschland gesetzlich verboten ist, wird sie seit zehn Jahren in einer Reihe von Ländern praktiziert und ist in zehn EU-Staaten
legal oder zulässig, so in Dänemark, Frankreich, Norwegen, Schweden. Befürworter wie die Bundesärztekammer fordern, die PID für Paare
zuzulassen, die eine genetische Veranlagung zu schweren Erbkrankheiten haben. Das beträfe hierzulande nach Schätzungen des Göttinger
Humangenetikers Wolfgang Engel jährlich nur etwa hundert Paare.
Dass sich die Anwendung dauerhaft auf einen so eng begrenzten Personenkreis beschränken lässt, bezweifelt die Humangenetikerin und
Ethikerin Sigrid Graumann vom Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft in Berlin. Irgendwann könnte die Präimplantationsdiagnostik
»als Kontrollverfahren in der ganz normalen IvF eingesetzt« und zum Einfallstor für die Forschung an Embryonen werden.
Damit könnte die Not der Frauen in den Hintergrund treten und eine Legitimation für weitergehende wissenschaftliche Forschung liefern,
die auch wirtschaftlich interessant ist. Andererseits bedeutet das Nein zur PID für Risikopaare, ganz auf Kinder verzichten oder sich
um eine Adoption bemühen zu müssen.
Christiane Woopen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wissenschaft und Ethik der Uni Köln, spricht sich deshalb für
»eine sehr kontrollierte und öffentlich transparente Einführung der PID« aus; ein Fortpflanzungsmedizingesetz müsse
bundeseinheitlich die Rahmenbedingungen regeln. Wesentlich sei es, ethische Grenzen der Selbstbestimmung und der Einflussmöglichkeiten
auf das Kind zu setzen, und die sind für die Ärztin da, »wo versucht wird, Eigenschaften der Kinder zu prägen oder sich bewusst
bestimmte Kinder auszusuchen«.
In den USA und anderen Ländern wird PID bereits zur Geschlechtswahl, in Indien mit dem Ziel des »Family Balancing« eingesetzt.
Die Biotechnologie eröffnet ungeahnte Möglichkeiten: Kleinwüchsige oder gehörlose Eltern können sich Kinder »auswählen« mit der
gleichen Behinderung, Eltern eines Kindes mit einer ererbten Blutkrankheit ein Geschwisterchen als Stammzellenspender zeugen.
Doch beim »Designerbaby« stößt die Medizin an ihre Grenzen. Um bestimmte Merkmale zu erzielen oder auszuschließen, etwa Diabetes
oder psychische Krankheiten, muss man viel mehr Eizellen bzw. Embryonen gewinnen als heute möglich.
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