Artikelarchiv von Maja Langsdorff
Der folgende Artikel erschien am 31. Juli 2007 in der »Stuttgarter Zeitung«.
|
Ein Studium für mündige Patienten
In Deutschlands erster Patientenuniversität können Laien mehr über den Körper und seine Funktionen lernen /
Wissensvermittlung durch Vorlesungen und praktische Lernstationen
Kein Abitur, kein Numerus clausus, keine oder minimale Studiengebühren, am Ende zwar keinen Doktortitel,
aber ein Zertifikat: In Hannover kann man ohne hohe Zugangshürden häppchenweise Medizin studieren - an
der ersten deutschen Patientenuniversität.
von Maja Langsdorff
Martina Blume hatte einen Traum. Sie wollte Arzthelferin werden. Doch es kam anders, und sie wurde kaufmännische
Angestellte. Ihr Interesse an der Medizin verlor sich indes nicht, im Gegenteil. Die heute 46jährige schrieb sich
für eine Vorlesungsreihe an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) ein – gemeinsam mit ihrer 16jährigen
Tochter Stefanie und ihrer 64jährigen Mutter Gisela Albrecht. Am Ende des ersten Zyklus nahm Martina Blume nun
nach erfolgreichem Abschlusstest ihre Urkunde für Teil 1 des »MiniMed-Studiums« in Empfang. Unter
der Überschrift »Gesundheitsbildung für Jedermann« wird in diesem Pilotprojekt Laien Basiswissen aus
der Medizin vermittelt. Die Vorlesungen halten erfahrene Wissenschaftler und namhafte Professoren wie Axel
Haverich, Spezialist für Herztransplantationen und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz-
und Gefäßchirurgie (DGTHG). Alle Referenten sind gehalten, den Fachjargon zu meiden und in verständlichem
Deutsch zu sprechen.
Medizinstudiengänge für Laien anzubieten, diese Idee stammt aus den USA. Die so genannten MiniMed Schools sind
dort inzwischen verbreitet, die erste wurde schon 1989 in Denver, Colorado entwickelt. Das MiniMed-Studium
an der MHH ist Teil von Deutschlands erster Patienten-Universität, die sich in drei Fachbereichen mit Angeboten
an spezielle Zielgruppen richtet. Seit Oktober 2006 werden unter dem sperrigen Stichwort
»Gesundheitssystemkompetenz« Schulungen für Patientenvertreter angeboten. Im März startete
»MiniMed», die Seminarreihe zur Gesundheitsbildung für Laien. Und seit Juni 2007 gibt es auch
Patientenschulungen für Erkrankte, ihre Angehörigen und Mitglieder von Selbsthilfegruppen. Diese sollen
dazu befähigen, Krankheiten besser zu bewältigen, um die Lebensqualität zu verbessern.
Die Erziehungswissenschaftlerin Professorin Marie-Luise Dierks und der Mediziner Professor Friedrich-Wilhelm
Schwartz haben das Konzept der Patientenuni als unabhängige Bildungseinrichtung an der MHH entwickelt und
leiten das Projekt. Finanziert wird es aus eigenen Mitteln, nicht weniger als 30 verschiedene Abteilungen
mit mehr als hundert Mitarbeitern beteiligen sich daran. Hinter der Idee steht ein politischer Gedanke.
Marie-Luise Dierks: »Wenn man will, dass Patienten mündig sind, sich als Partner des Arztes fühlen und
zunehmend zu Kunden des Gesundheitswesens werden, muss man auch dafür sorgen, dass sie mehr Kompetenzen
erlangen.« Diese will die Patientenuni vermitteln und stößt dabei offenbar in eine Marktlücke.
Die Resonanz auf das MiniMed-Studium überrollte die Initiatoren fast. An die 300 Interessenten schrieben
sich fürs kostenfreie erste »Semester« ein; auf der Warteliste stehen weitere 400 Namen. Der
erste Block, in dem es um die großen Organe Herz, Lunge, Niere, um den Bewegungsapparat, den
Verdauungstrakt und das Gehirn ging, wird im Herbst wiederholt. In zehn aufeinander aufbauenden Abenden
wird der Stoff theoretisch und praktisch vermittelt; im (gut gefüllten) Hörsaal mit einer Vorlesung, der
sich ein ausgiebiger Frage-Antwort-Block anschließt. Danach vertiefen die Absolventen das neue Wissen
durchs praktische Erleben in Lernstationen. Beim Abendthema »Lunge« etwa können sie das
Lungenvolumen messen, eine Tierlunge und ein Lungenmodell besichtigen, besseres Atmen erproben. In den
Lernstationen agieren Medizinstudenten und junge Mediziner, die extra in Informationsvermittlung geschult
wurden und so ihrerseits Kommunikation üben können mit Menschen, die ihnen nicht als Patienten gegenüber treten.
»Wir waren total begeistert von der Atmosphäre«, berichtet Martina Blume, »man ist unter
Gleichgesinnten, und die Professoren sind für alle Fragen offen. Man hat nicht das Gefühl, der dumme Patient
zu sein – man wird ernst genommen.« Sie habe in der Patientenuni »das Wissen erworben, um auf
Augenhöhe mit dem Arzt diskutieren zu können.« Ihre Tochter sei in ihrem Wunsch, später Medizin zu
studieren, bestärkt und wisse nun, wie eine Uni von innen aussehe: »einfach toll!« Und die
Großmutter lobt, wie »plausibel die Professoren den Stoff rübergebracht haben«. Sie habe »das
Vertrauen zu den Ärzten zurückgewonnen.«
Das Damentrio, das für jeden Kurs anderthalb Stunden aus dem beschaulichen Weserstädtchen Bevern anreisen musste,
repräsentiert typische Teilnehmergruppen der Patientenuni: Zwei Drittel sind Frauen, das Gros um die sechzig,
wie Gisela Albrecht. Die Hälfte hat Erfahrungen mit Erkrankungen wie Martina Blume. Und manche bereiten sich,
wie Stefanie Blume, auf ein Studium im Gesundheitsbereich vor. Viele der Teilnehmenden möchten mehr wissen über
ihren Körper und seine Funktionen. Sie wollen ihre Autonomie und Entscheidungsfähigkeit stärken und besser
vorbereitet in Arztgespräche gehen.
Mindestens fünf weitere Zyklen mit etwa zehn Abenden strebt Marie-Luise für das Studium an. Der Aufbaukurs, der
sich mit Sinnes- und Sexualorganen beschäftigen und etwa 80 Euro kosten wird, startet im Frühjahr 2008, alle
Teilnehmer haben sich schon eingeschrieben. Dierks ist »hochzufrieden« mit der ersten Runde.
Die Leute würden sich mit der Thematik intensiv auseinandersetzen, seien kritischer geworden, würden auch
ihre Scheu vor der Hochschule verloren haben. Und nun denke man darüber nach, wie auch jenen, für die
Hannover zu weit ist, das Angebot zugängig gemacht werden könne, etwa durch übers Internet abrufbare
Aufzeichnungen der Vorträge und in Buchform. Möglich, dass sich daraus ein Fernstudienangebot entwickelt.
|