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Der Schmerz der MarionettenEs geht auch mit weniger Quälerei: Am Wochenende treffen sich Deutschlands Tanzmediziner in MünchenTänzer zu sein ist ein harter Beruf. Nirgendwo sind die Ausbildungszeiten länger und die Karrieren kürzer als im Tanz. Wenn andere mit 35 durchstarten, denken Tänzer oft schon ans Aufhören - oder werden darauf gestoßen. Durch Unfälle, Schmerzen, altersbedingte Leistungseinbußen. Mehr und mehr interessieren sich Mediziner, Pädagogen, Wissenschaftler, Choreografen und Ballettdirektoren für die physische und psychische Gesundheit von Tänzern. Rund 250 von ihnen engagieren sich im Verein Tanz-Medizin Deutschland (TaMeD). Zu ihnen gehört auch die Journalistin Maja Langsdorff, die selbst eine Tanzausbildung absolvierte und - nach Publikationen zu Essstörungen, Abtreibung, dem Status der Geliebten - über den Abschied vom Lebenstraum Tanzen ein Buch geschrieben hat: »Ballett - und dann? Lebensbilder von Tänzern, die nicht mehr tanzen«. Unter dem Motto »Wenn Tänzer nicht mehr tanzen können« leitet Maja Langsdorff einen Arbeitskreis beim siebten Symposium von TaMeD, das an diesem Wochenende in den Räumen des Bayerischen Staatsballetts stattfindet. SZ: Wann können Tänzer nicht mehr tanzen? Langsdorff: Es gibt drei wesentliche Gründe: Verletzungen, das Alter und Leitungswechsel in der Direktion einer Kompanie. Meistens ist es eine Kombination, doch überwiegen die körperlichen Gründe. Gehen Männer anders mit dem Karriereende um als Frauen? Männer setzen sich früher und konkreter mit dem Ende ihrer Karriere und den beruflichen Möglichkeiten danach auseinander als Frauen. Das liegt wohl auch an den Erwartungen, die noch immer vorrangig an den Mann gerichtet werden, der die Familie versorgen soll. Frauen schieben den Gedanken ans Aufhören tendenziell hinaus, vor allem wenn sie aus Ballettfamilien stammen, in denen die Mutter die Karriere der Tochter puscht. Das ist anders, wenn Mädchen stärker zur Selbstständigkeit erzogen wurden. Sie sagen, das »Davor« ist entscheidend für das »Danach«. Wie hängt das zusammen? Wer in der Tanzwelt lebt, interessiert sich oft nur dafür. Das zu ändern sollte schon in den Schulen und Akademien beginnen und hört in den Kompanien nicht auf. Man muss den Studenten mehr Orientierung nach außen anbieten. Den Leistungsdruck etwas herunterfahren, dafür die intellektuelle Entfaltung und Persönlichkeitsentwicklung stärker fördern. Das ergibt sowieso die interessanteren Tänzer als die Gleichmacherei. Man muss ihnen bewusst machen, dass das „Danach“ ein großer Teil des Lebens ist. In den Akademien ist das aber meiner Erfahrung nach oft nicht erwünscht. Warum nicht? Es heißt oft: Wenn ich Studenten sage, Tanzen ist eine endliche Sache, dann demotiviere ich sie. und die Ausbildung erfordere doch alle Motivation und Kraft. Was kann man dann tun? Was kann die Tanzmedizin bewirken? Die Pädagogen müssen umdenken. Intellektuelle Tänzer erziehen, nicht nur Marionetten. Sie sollten Begeisterung und Talente in anderen Bereichen herauskitzeln. Es gibt ja auch schon gute Ansätze. Die Tanzmedizin, kann über die physischen Folgen des Tanzens aufklären und darüber, wie man gesünder trainieren kann: Dass man weiß, wie der Körper funktioniert, darauf das Training abstimmt, und nicht nur verlangt, dass er funktionieren muss. Viele trainieren mit ständigen Schmerzen und denken, das muss so sein. Man muss Ruhepausen einhalten. Nur 18 Prozent der Tänzer haben noch nie schwere Schädigungen gehabt, sagt eine Statistik, das heißt: 82 Prozent leiden darunter. Welches sind die typischen Beschwerden? Verletzungen der Lendenwirbelsäule, der Knie, des Sprunggelenks. Der typische Hallus valgus, der Fußballen, tritt heraus. Ein Großteil der Mädchen und Frauen hat Probleme mit dem Essverhalten, um es vorsichtig zu sa.gen: Man schätzt, 25 bis 30 Prozent der Ballett-Studentinnen und Tänzerinnen. In der sonstigen Bevölkerung rechnet man mit Quoten von einem bis fünf Prozent bei Magersucht und zwei bis sieben Prozent bei Bulimie. Wobei es nicht einfach zu sagen ist, was wovon bedingt ist, die Magersucht vom Tanzen oder die Lust am Tanzen von einer Persönlichkeitsstruktur, die zu Essstörungen neigt. Funktionieren wollen, Perfektionismus, die Bereitschaft, sich unterzuordnen, zeichnet Tänzerinnen wie auch Frauen mit Essstörungen aus. Balletttänzerinnen sind gefährdeter als andere, weil man in Modern-Dance-Kompanien und im zeitgenössischen Tanz generell mehr Individualität zugesteht. Wird häufig auch das Burn-out-Syndrom, die völlige geistige und körperliche Erschöpfung, als Grund angeführt, aufzuhören? Nicht sehr häufig. Wenn, dann trifft es Tänzer, die das Gefühl haben, alles erreicht zu haben, was sie erreichen konnten. Die stellen sich dann die Sinnfrage. Soll man die alltäglichen Schmerzen wirklich noch weiter in Kauf nehmen? Solange man um seine Position kämpfen muss, toleriert man das eher. Warum haben Sie die Tänzer, die nicht mehr tanzen, interessiert? Ich war Tänzerin und musste wegen eines Verkehrsunfalls mit dem Tanzen aufhören. Danach habe ich diesen Bereich völlig ausgeklammert, das war zu schmerzlich für mich. Als Journalistin sollte ich später recherchieren, wie Ballett und Medizin zusammenpassen. Da bin ich auf TaMeD gestoßen und fand das sehr spannend. Vor zehn Jahren wollte ich darüber schon schreiben, aber es ist nicht leicht, Tänzer zu finden, die darüber reden wollen. Tänzer zu sein, das ist so eine starke Identität, viele Ex-Tänzer wollen sich dann einfach nicht mehr blicken lassen. Dabei bringen Tänzer das mit, was als Schlüsselqualifikationen gelten: Sie sind zuverlässig, diszipliniert, idealistisch, ausdauernd, teamfähig. Sie werden Ärzte, Therapeuten, Pädagogen, Ballettmeister, Boutiquenbesitzer, Protokollchefin - oder ganz was anderes. Interview: Katja Schneider
»Süddeutsche Zeitung«, 7. Mai 2005
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