Artikelarchiv von Maja Langsdorff
Die folgenden Artikel wurden am 23.4.2002 in der »Stuttgarter Zeitung« veröffentlicht
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Wenn Männer in die Jahre kommen
Auch beim Mann gibt es so etwas wie Wechseljahre / Senkt sich in der Lebensmitte der Hormonspiegel,
sinken damit oft auch Energie und Stimmung
Die Midlife-Krise des Mannes hat handfeste biologische Ursachen. Diese Erkenntnis setzt sich unter
Fachleuten nach und nach durch. Auch Männer kommen in die Wechseljahre, wenngleich dieser Prozess
bei ihnen weniger dramatisch verläuft als bei Frauen.
von Maja Langsdorff
Während Frauen den Eintritt in die Wechseljahre mit klaren körperlichen Veränderungen erleben - ab Anfang
40 gerät die Regel außer Takt -, kündigt sich das Klimakterium (von griech. klimakter: »Stufe, gefahrvoller
Lebensabschnitt«) bei Männern zunächst offenbar stärker im seelischen und psychosomatischen Bereich an.
Männer werden dünnhäutiger, reizbarer, weniger souverän.
»Wir müssen leider zur Kenntnis nehmen, dass wir alternden Männer, beginnend mit dem 40. Lebensjahr,
regelhaften endokrinen Veränderungen unterliegen«, zitiert die Internet-Seite des
»Forum Männerarzt«
Wolfgang Weidner, Professor an der Urologischen Klinik in Giessen. Weidner meint damit, dass sich die
Hormonlage verändert. Der männliche Körper produziert weniger Sexualhormone, und die Balance zwischen den
einzelnen Hormonen verschiebt sich. Die Auswirkungen sind für das Selbstbild vieler Männer und ihr
Selbstwertgefühl fatal: Die Lust auf Sex sinkt, es hapert mit der Potenz, die Kräfte und die
Leistungsfähigkeit lassen nach, die Haare fallen aus. All dies wirkt sich häufig mittel- oder unmittelbar
auf die Psyche aus. Der Mann zweifelt an sich und seiner Identität. Er zieht Bilanz: War das schon alles?
Was habe ich erreicht? Wo stehe ich eigentlich?
Je stärker sich ein Mann über seine Leistungsfähigkeit auf unterschiedlichen Ebenen definiert, desto
stärker sein Verlustgefühl und die Angst, sich nicht mehr im Griff zu haben. Thomas Scheskat, 45,
Psychotherapeut, Pädagoge und einer der Leiter des Göttinger Instituts für Männerbildung, glaubt,
man merke dieses natürliche und allmähliche Schwinden der Kräfte »als Mann vielleicht ein Stück
fokussierter, weil man sich stärker über Leistung identifiziert hat.« Es sei das Gefühl: »Jetzt
sack ich ab, jetzt lass ich nach.« Dann käme die Angst auf, nicht mehr konkurrenzfähig zu sein,
»ein archaisch geprägtes Gefühl: Die jungen Hengste laufen einem den Rang ab«, in der Liebe
wie im Beruf.
Der Prozess kann früher oder später einsetzen, fest steht nur: Irgendwann jenseits der 40 kommen auch
Männer »in die Jahre«, und das merken viele zunächst einmal im Bett. Da ist dann »auf
einmal der Schreck: Huch, er steht nicht mehr, oder nicht mehr so schnell«, meint der Freiburger
Pädagoge Ralf Ruhl, 45, Chefredakteur der Väterzeitschrift Paps. Männer seiner Generation spüren seiner
Erfahrung nach häufig die Folgen der Hormonschwankungen.
Für den Mann in der Lebensmitte kann es ein Desaster sein, wenn dann »sein bester Freund« bockt.
Während Frauen sich stark über ihr Äußeres definieren und unter Falten und grauen Haaren leiden, definieren
sich Männer eher über ihre Potenz, besonders die sexuelle. Der Karlsruher Psychotherapeut und Berater
Karl-Heinz Schubert, 53, sagt, dass Männer sexuelles Versagen »als inneren Angriff auf Mannsein
und Männlichkeit überhaupt« interpretieren: »Wenn der Mann da geschwächt ist und das nicht
auf anderer Ebene ausgleichen kann, fühlt er sich entwertet, fühlt er Kränkung.«
Wie Frauen schlafen Männer in den Wechseljahren oft schlecht, schwitzen nachts, nehmen zu. Kein
Wunder, dass diese Symptome der Schwäche sie als »starke Männer« deprimieren. Der Kieler
Frauenarzt Volker Rimkus, 63, behandelt seit einem Jahrzehnt auch Männer im »Klimakterium virile«
mit pflanzlichen Hormonen. Er weiß aus der Praxis, dass im fünften Lebensjahrzehnt Depressionen im
Vordergrund stehen: »Da kommen gestandene Männer, zwei Meter groß, breitschultrig, volles Haarkleid,
stark wie eine Eiche, und fangen an zu weinen wie die Schlosshunde«.
Nur: Viele Männer können sich keine Schwäche eingestehen, verbergen Sie doch hinter der Fassade des »harten
Kerls« ihre Verletzlichkeit. Sie tun sich schwer, fachliche Hilfe zu suchen, weil sie in sich
den Anspruch tragen: »Wir haben nichts zu haben, wir müssen das starke Geschlecht sein, und unsere
Frauen dürfen auch nichts wissen«, so Rimkus. Auch ein Gespräch unter Männern findet kaum statt.
Frauen haben ihre beste Freundin. Männer erleben andere Männer dagegen eher als Konkurrenten und
fürchten, als »tuntig« einstuft zu werden, wenn sie sich anderen Männern anvertrauen.
Das führt nach Schubert zu zwei unterschiedlichen Verhaltensmustern: »Männer werden einfach still
- oder sie versuchen zu kompensieren. Sie machen vielleicht mehr Sport, rennen ins Fitness-Studio.
Die Maschine muss sozusagen in Schuss gehalten werden.« Die Klischees sind bekannt: Männer in
der Lebensmitte definieren sich über ihre wirtschaftlichen Erfolge, sie tauschen Kombi gegen Cabrio,
machen auf Jugendlich und in Aktionismus, gleichen die nachlassende Männlichkeit aus, indem sie
Vorsitzender hier und Präsident da werden, suchen sich zur Selbstbestätigung eine jüngere Freundin.
Warum, fragt sich mancher Mann, dann eigentlich nicht den folgenreichen Hormonabfall durch
Hormonpräparate ausgleichen? Prinzipiell ist dies möglich. Doch Hormonbehandlungen beim Mann sind
zu wenig erforscht und umstritten. Was bleibt und garantiert nur nützen kann, ist der Versuch, an
der inneren Einstellung zu arbeiten, das Altern zu akzeptieren. Viele stehen sich selbst im Weg und
sehen nicht die Chancen des neuen Lebensabschnitts. Es fällt ihnen schwer, langsamer zu treten und
nach ihren Ressourcen zu schauen. Männer zeigen keine Schwäche. Wenn Männer mit dem, was sie erreicht
haben, nicht zufrieden sind, halten sie, so Scheskat, oft unverdrossen an ihren früheren Zielen fest
und setzen sich so massiv unter Erfolgszwang und Druck. Hilfreicher wäre die Einstellung: »Moment
mal, schalte mal einen Gang zurück, vergiss mal für einen Moment deine Ziele, guck dir doch mal an,
was du schon erreicht hast.«
Eine Lösung könne auch sein, sich anders zu orientieren: beruflich oder privat, etwa Richtung Hobby,
Politik, Familie, Freunde, rät Ruhl. Oft ist im Sexualleben ein Umdenken »not-wendig«.
Sexualität bedeute für Männer oft Leistungssport, sagt Schubert: »Man will immer, man muss
immer, man kann selbstverständlich auch immer«. Ändert sich das, liegt darin nach Ruhl »die
Chance, Körperlichkeit sanfter, langsamer, zärtlicher zu erleben im Wissen: Ich muss nicht mehr immer
aktiv sein, ich kann auch geschehen lassen. Dazu muss ich Kontrolle aufgeben, muss mein Männerbild
des ewig Aktiven loslassen.« Und sein Kollege Scheskat bestätigt: »Das sinnliche Erleben
wird breiter. Und das ist eine Steigerungsform des Erlebens, die bis ins Alter möglich ist.« Männer
sollten Kontakt zu anderen Männern suchen, um sich gemeinsam von Zwangsgedanken und jugendlichen
Leitbildern befreien zu können.
Literaturempfehlungen zum Thema:
Jed Diamond: »Der Feuerzeichen-Mann. Wenn Männer in die Wechseljahre kommen«, C.H.Beck Verlag
Volker Rimkus: »Der Mann im Wechsel seiner Jahre. Lebenslust statt Lebensfrust im Alter«,
Verlag Arche Noah, Oster-Schnatebüll
Interessante Links zum Thema:
Forum Männerarzt/MännerPortal.net
Suchmöglichkeit für Männerärzte in Deutschland/
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