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Die Geheimnisse um J. H. SchultzDie Rolle des Autogenen Trainings und seines Begründers im NationalsozialismusDas Autogene Training kennt fast jede/r, aber wer weiß schon viel über seinen Begründer Johannes Heinrich Schultz? Dessen Werdegang und Wirken Anfang des Jahrhunderts lassen sich relativ gut rekonstruieren. Weitgehend im Dunkeln aber liegen seine Haltung und die Bedeutung des Autogenen Trainings im Dritten Reich. Immer wieder einmal wird in Fachkreisen diskutiert, ob das Autogene Training nicht eventuell als eine deutsche Antwort auf die »jüdische« Psychoanalyse gewertet werden muss. Der Verdacht, dass sein Begründer Johannes Heinrich Schultz (1884-1970) antisemitisch eingestellt und Nazi war, wird u.a. dadurch genährt, dass Biographen die Jahre 1933 bis 1945 stillschweigend übergehen. Die Zeitschrift »Psychologie heute« (2/1983) sagte Schultz 1983 nach, er habe 1938 ein Dinner mit Edmund Jacobsen, dem Begründer der Progressiven Muskelentspannung, mit den Worten ausgeschlagen, er habe keine Zeit, mit Juden zu essen. Ein »Spiegel«-Artikel von 1988 (25/1988) unterstellt Schultz, ein strenger Gutachter für Erbgesundheit und homosexuelles Verhalten gewesen zu sein, der Homosexuelle ins KZ geschickt habe, »wenn sie nicht vor seinen Augen einer Frau beiwohnen konnten«. Interessant ist auf jeden Fall, dass Schultz in den fraglichen Jahren unter dem überzeugten Nationalsozialisten Matthias Heinrich Göring, einem Vetter des späteren Reichsmarschalls Hermann Göring, am Berliner »Deutschen Institut für psychologische Forschung und Psychotherapie« wirkte. Dieses spielte eine wesentliche Rolle bei der Professionalisierung der Psychotherapie in Deutschland. In der Geschichtsschreibung der Klinischen Psychologie und Psychotherapie werden die Jahre 1933 bis 1945 gern ausgeblendet, denn der nationalsozialistische Staat unterstützte und förderte die Lehre, Forschung und Praxis. Einer mutmaßlicher Grund dafür liegt für den Psychologen, Historiker und Soziologen Oskar Mittag in der nationalsozialistischen Ideologie mit ihren »verschwommenen Psychologismen etwa vom Willen, den Elementarkräften des Unbewussten oder auch der Psychologie der Masse«. Solche Vorstellungen »haben vermutlich die Stellung der jungen Profession der Psychologie und Psychotherapie gestärkt«. Mittag hat sich 1994 in einem Aufsatz (Report Psychologie 19, 3/94) eingehend mit der Rolle von Schultz auseinander gesetzt. Er kam zu dem Ergebnis, dass dieser keineswegs Antisemit war, dass er sogar bemüht war, Homosexuelle vor ihrer Verschleppung ins KZ zu bewahren und auch in Publikationen nicht vor Affronts gegen die herrschenden Sprachregelungen zurückscheute. Der Arzt und Psychotherapeut, in erster Ehe mit einer Jüdin verheiratet, war kein glühender Nationalsozialist, aber gewiss auch kein Widerstandskämpfer. Wie viele seiner Kollegen hat er, so Mittag, »aller Wahrscheinlichkeit nach die sich nach 1933 bietende Gelegenheit zur Etablierung und institutionellen Ausweitung der Psychotherapie begrüßt, [...] mit dem NS-System kooperiert und sich in vielerlei Hinsicht opportunistisch verhalten.« Dass er persönlich nicht frei von Eitelkeiten war, illustriert eine amüsante Anekdote. Schultz' Initialen werden oft, auch in Büchern, falsch »I.H.« abgekürzt. Wenn er sich auch von seinen Schülern gern als »Gott des Autogenen Trainings« titulieren ließ, mochte er dies doch nicht in der Berliner Version »Jott« - schon gar nicht in seinem Namen. Wie Millionen andere ging Schultz, der offenbar weitgehend seine professionelle Autonomie wahren konnte, wohl den Weg des geringsten Widerstandes, um für die Sache der Psychotherapie zu arbeiten. Das Autogene Training hatte nach Mittag keine herausragende Bedeutung im Nationalsozialismus, einer Zeit, »in der das 'zackig-preußische Anbrüllen' und die 'muskuläre Dauerspannung' [...] in wehrmachtspsychologische Untersuchungen einging«. Schultz selbst habe sein Verfahren von der soldatisch strengen Haltung abgegrenzt und als Gegenpol einer Haltung charakterisiert, bei der »Wünsche niedergeschrien, Entbehrungen missachtet, Vitalreaktionen durch bewusste Spannung hinuntergebogen« wurden. Was für ein Mensch Schultz tatsächlich war, ist heute schwer greifbar. Nach dem Medizinstudium wirkte er in Göttingen, Jena und Berlin. Schon früh setzte er sich intensiv mit Suggestion und Selbsthypnose auseinander, offenkundig auch im ureigenen Interesse. Denn von seinem sechsten Lebensmonat bis zu seinem 30. Lebensjahr litt Schultz unter schweren Asthmaanfällen, die er erst durch sein Verfahren der »konzentrativen Selbstentspannung« unter Kontrolle bringen konnte. Das Autogene Training entwickelte er aus der Hypnose heraus. Persönliche Erfahrungen mit Selbstsuggestion sammelte er im Ersten Weltkrieg als Chefarzt des Nervenlazaretts im belgischen Namur mit zuletzt 2000 Betten. Suggestion und Hypnose, die zuvor unter Sigmund Freud als klinische Behandlungsweise von Krankheiten an Bedeutung verloren hatten, gewannen erst als Folge des Ersten Weltkriegs wieder Auftrieb: Die dramatischen Belastungen und traumatischen Ereignisse führten bei vielen Soldaten zu schweren Neurosen. Selbst wenn sie Gasangriffe organisch heil überstanden hatten, erblindeten sie. Ohne dass Trommelfeuer ihr Gehör nachweisbar geschädigt hatte, wurden sie taub. Verschüttete litten nach ihrer Rettung an Zittern, Schütteln, Krämpfen und Lähmung. Weil es an Psychotherapeuten und an neuen Behandlungsmethoden mangelte, griff man auf das Bewährte zurück, etwa auf die Hypnose. Lange davor hatte Schultz bereits in Breslau seine Hypnoseforschungen aufgenommen und »allabendlich in einem 'Hypnoseambulatorium' an 40 bis 50 Patienten ausgedehnte Erfahrungen über die Erlebnisse im hypnotischen Zustand und über dessen gesundheitliche Wirkungen« gesammelt, schreibt sein vor wenigen Jahren verstorbener Schüler, der Arzt und Psychotherapeut Klaus Thomas. Ab 1920 führte Schultz, damals Professor in Jena, im Sanatorium »Weißer Hirsch« in Dresden umfassende klinische Versuche mit dem Autogenen Training durch. Schultz ergänzte diese Forschungen durch sorgfältige Beobachtungen an gesunden Versuchspersonen in Kursen an der Lessing-Hochschule in Berlin, oft - heute undenkbar - in Gruppen mit zwei-, dreihundert Teilnehmern. Nach zwölf Jahren systematischer theoretischer und praktischer Forschung erschien 1932 sein Standardwerk zum Autogenen Training. Bis 1966, wenige Jahre vor seinem Tod, gab Schultz übrigens in Berlin noch selbst Kurse. |
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