Myiasis: Nutzen und Schaden – ein Exkurs zum Thema

Es gibt oft zwei Seiten einer Medaille. Madenfrass (Myiasis) ist nicht gleich Madenfraß – er kann tödlich enden, aber auch Leben retten. Da sind ...

  • einerseits die Wirtstiere wie Igel, Kaninchen etc., die auf grausame Weise Opfer der gierig fressenden Fliegenlarven werden,

  • andererseits die Erfolge in der Wundbehandlung, denn gezielt eingesetzte Fliegenlarven können therapeutisch helfen, wenn nichts anderes mehr hilft, eine chronische Wunde von multiresistenten Keimen besiedelt ist und Antibiotika wegen Resistenzen ausgereizt sind.

Entwicklung der Goldfliege

Schematische Darstellung der Entwicklung der Goldfliege:

Von der Eiablage bis zum fertigen Insekt vergehen im schnellsten Fall weniger als zwölf Tage, höchstens aber knapp vier Wochen.

Da sich schon nach nur acht Stunden aus den Eier die gefräßigen Maden entwickelt haben können, ist bei Befall unverzügliches Handeln angesagt.

Grafik © Stefan Spitzer in: »Zwischen Ekel und Erstaunen«, pta Forum Online Ausgabe 11/2017

Madenfraß kann also Fluch oder Segen sein, je nachdem ob er unkontrolliert oder kontrolliert und gewollt abläuft.


FliegenmadenWenn Fliegen einen verletzten Igel für die Ablage ihrer Eier benutzen, ist dies für den Igel das sichere Todesurteil – es sei denn, er wird rasch aufgefunden und penibel von den Eiern und den schnell schlüpfenden gefräßigen Maden befreit.

Die Fliegenmaden bestimmter Arten, z.B. von Goldfliegen, sind allerdings nicht per se schädlich; sie fressen bevorzugt »nekrotisches«, also abgestorbenes, brandiges Gewebe und beseitigen gleichzeitig gefährliche Bakterien. Bevor sie ihre Nahrung aufnehmen, verflüssigen sie diese mit Verdauungssäften. In der medizinischen Madentherapie werden Larven verwendet, die in spezialisierten Labors keimfrei gezüchtet werden. Der gezielt genutzte Madenfraß an einer infizierten, stark entzündeten Wunde entzieht den Bakterien praktisch den Nährboden; die Bakterien werden abgetötet und verdaut. Das Abheilen der so gereinigten Wunde wird nicht mehr ver- bzw. behindert.

Wenn jedoch eine »normale« Fliege (oder mehrere) Tausende Eier auf ein geschwächtes bzw. verletztes Tiere ablegt und sich daraus innerhalb kürzester Zeit ebenso viele Maden entwickeln, dann ist, falls vorhanden, nekrotisches Gewebe schnell vertilgt, und der Fraß geht im gesunden Gewebe, an Muskulatur und schließlich den Organen weiter. Abgesehen davon, dass ihre Sekrete auch gesundes Gewebe schädigen können, finden die Larven ihren Weg schnell in sämtliche Körperöffnungen und richten dort irreversiblen Schaden an. Außerdem können die Fliegen gefährliche Keime verbreiten.

MadeDass Maden andererseits sehr nützlich in der Wundbehandlung sein können, wussten schon vor langer Zeit Maya-Indianer und Stämme der Aborigines. Es war ein französischer Militärarzt und Chirurg unter Napoleon, Dominique Jean Larrey (1766-1842), der Anfang des 19. Jahrhunderts zwei wegweisende Beobachtungen machte: Er erkannte, dass Kälte die Schmerzempfindlichkeit herabsetzt und dass Verwundete, die nach einer Verletzung nicht sofort ins Lazarett kamen, sondern unbehandelt auf dem Schlachtfeld liegen blieben, höhere Überlebenschancen hatten. In ihre Wunden drangen nämlich Maden ein, die Krankheitserreger abtöteten und damit Wundinfektionen verhinderten. Larrey beobachtete, das Maden einer bestimmten Fliege nur totes Gewebe fraßen, womit sie zur Heilung der Wunden beitrugen. Vergeblich versuchte er Soldaten vom Nutzen der »lästigen Würmer« zu überzeugen – sie wollten diese nicht in ihren Wunden belassen.

Fliegenmaden auf Igeltrockenfutter In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts setzte der amerikanische Chirurg William S. Baer (1872-1931) schon sterile Maden von Schmeißfliegen in der Wundbehandlung ein und erzielte gute Erfolge. Dennoch konnte sich die Madentherapie nicht wirklich durchsetzen und geriet wieder bis in die 90er Jahre mehr oder weniger in Vergessenheit. Dann, 1991, wies der amerikanische Arzt Ronald Sherman über eine Studie nach, dass die Behandlung von Wunden mit keimfreien Fliegenlarven, die so genannte »Bio-Chirurgie« allen anderen nicht-chirurgischen Verfahren beim Entfernen von geschädigtem infizierten und abgestorbenen Gewebe (»Depridement«) überlegen ist. Wie beschrieben: Die Maden lösen abgestorbenes Gewebe und Wundbeläge deutlich schneller auf, ohne das gesunde Gewebe anzugreifen, sie vernichten Bakterien und Keime und stimulieren so den Heilprozess.

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